Erlebnisbericht aus dem Ahrntal 2018

Erlebnisbericht aus dem Ahrntal 2018

Der September hatte die Mitte schon überschritten. Ich überlegte, vielleicht doch noch „etwas zu machen“ – und das nicht aus „langer Weile“. Es war mein „Doppelherz“. Ein Teil schlägt für den Norden, die See, der andere für den Süden. Und dieser Süden verbindet sich für mich mit Bergen und ganz besonders mit Südtirol. Was lag da näher, als diesem Gedanken zu folgen? Sollte ich noch einmal einen „Freiwilligen Arbeitseinsatz“ wagen? Mein „vorgerücktes“ Alter“ könnte mich stoppen, aber im Verein in Bozen anfragen, ob es sinnvoll sei, das konnte ich allemal. Die Zeitvorstellung rückte allerdings vom September in den Oktober, da ich in meiner Kirchengemeinde das Erntedankfest mitfeiern wollte.

Zu meiner Freude wurde die Anfrage positiv beschieden. Da man heute digital „unterwegs“ ist, sind die Formalitäten unkompliziert. Sehr bald bekam ich acht Steckbriefe mit Höfen, die Hilfe in Haus und Hof nötig hätten. Arbeit im Stall hatte ich ausgeschlossen. Es waren wieder gute, hilfreiche Informationen in bekannt-bewerter Weise. Der Verein leistet damit kompetente und fundierte Arbeit. Außerdem hält er Kontakt mit den Freiwilligen im späteren Einsatz – ein gutes Konzept. Ich wurde also noch gebraucht. Nun lag es an mir, die Entscheidung für einen Hof zu treffen. Ich war das vierte Mal dabei. Wie immer, alles ist offen. Einige Vorüberlegungen haben sich für mich im Laufe der Zeit ergeben, das „Risiko“ bleibt. Was und wen werde ich vorfinden? Werde ich mich einbringen können, den Vorstellungen und Anforderungen gerecht werden? Ein selbstgewähltes „Abenteuer“.

Ich entschied mich für einen Bergbauernhof im Ahrntal, auch, weil ich es noch nicht kannte und mich die exponierte Lage des Hofes lockte. Im Nachhinein kann ich sagen – ich habe gut entschieden, wohl auch für die, die auf meine Hilfe hoffte.

Ich fuhr mit dem Zug von Hamburg über München, Innsbruck, den Brenner, stieg in Franzensfeste um nach Bruneck und mit dem Bus weiter über Sand in Taufers bis ins Ahrntal.

Der Bauer holte mich ab. Sein Hof liegt auf 1516 m und ist umgeben von steilen Wiesen, die einerseits der Hochwald begrenzt, der auf über 2000 m ansteigt, und Wiesen, die ebenso steil abfallen. Am Hof gibt es ein 500 Jahre altes unbewohntes Bauernhaus. Das jetzige Wohnhaus stammt aus den 60ger Jahren. Auch Stadel, Stall und Wirtschaftsgebäude sind alt, sehr alt, ebenso die Mühle. Leider hat man sich in den vergangenen Jahren nicht um ihren lohnenden Erhalt gemüht. Jetzt ist sie nicht mehr funktionstüchtig. Im Stall stehen 7 Kühe und 2 Jungtiere. 3 Schweine, 12 Hühner und 2 Katzen vervollständigen den Tierbestand. Ein Wirtschaftsaufzug befördert die Milch hinunter ins Tal. Zum Hof gehören noch Steinbackofen und Bienenhaus. Hinter dem Hof an der schmalen Zufahrtsstraße war ein Erweiterungsbau geplant und auch begonnen worden. Der Rohbau steht, aber es geht nicht weiter. Die Tante kümmert sich – um alles, kommt täglich von weit her gefahren, hilft ohne Unterlass und das seit Jahren. Inzwischen hat sie die 80 überschritten. Sie hat meine allergrößte Hochachtung! Sie kann nicht loslassen. Nicht vorstellbar, wenn sie einmal nicht mehr kommen kann. Sie freute sich besonders, dass diesmal eine Frau kam, eine Unterstützung für sie. Das ist nur zu gut zu verstehen. Ein liebenswerter alter Mensch, der nur arbeiten kennt. Sie kocht, sie füttert die Schweine, die Hühner, die Katzen, besorgt das Haus, die Milchküche, macht die Wäsche, putzt das Bad und vieles mehr. Ich habe mich in meinem Zimmer am Waschbecken gewaschen. Und – sie bäckt mit dem Bauer Brot. Damit bin ich bei meinem Tun. Sie schätzte meinen Einsatz sehr. Ich habe vieles ordnen und aufräumen können, soweit es möglich war, habe gekocht und gebacken, für alle Mahlzeiten gesorgt. Kühltruhen und Speisekammer waren reichlich gefüllt. Einmal in der Woche brachte der Bauer „Nachschub“. Es fehlte an nichts. Er aß besonders gern meinen Apfelkuchen, habe ihn fast täglich gebacken. Die Apfelernte war groß. Wir hatten ein problemloses Miteinander, aber sein Gegenüber war das Smartphone. – die Tante war immer besorgt, dass ich nicht zu viel tat, dass auch noch etwas Zeit für „den Wald“ bliebe. Sie hat schnell meine große Liebe zu den Bergen und der Natur bemerkt und wollte mir „meine Lust“ so weit wie möglich „gönnen“. Aber ich hatte ja vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang den fantastischen Blick ins Ahrntal mit einer unvergleichlichen Bergkulisse — umsonst. Die Zugabe war der zauberhafte Herbst in diesem Oktober – mein „Lohn“, das Geschenk.

So konnte ich jede freie Minute für einen Spaziergang nutzen. Anna sorgte noch zusätzlich für „mein Glück“. Wir gingen, d.h. fuhren zweimal in die Preißelbeeren auf eine Hochalm, zwei außergewöhnliche Tage für mich. Blauer Himmel, goldgelb die herbstliche Färbung der Lärchen, rot das Beerenlaub — zauberhaft schön! Wir sammelten Beeren. Ich konnte mich nicht sattsehen an dieser Hochgebirgslandschaft, nur schön. Das Vieh war bereits abgetrieben. An den freien Sonntagen war ich natürlich auch unterwegs. Die Tage waren bereits kurz. Ich musste achtgeben, rechtzeitig umzukehren, um vor Dunkelheit zurück zu sein. Keiner hätte mich vermisst. Eine wichtige Tätigkeit auf diesem Hof, war das wöchentliche Brot backen. Des Bauers Aufgabe war der Teig. Roggenmehl, Hefe, Salz und unterschiedliche Gewürze, wie Kümmel und Anis, wurden in der Knetmaschine „gewalkt“, dann ins Wohnzimmer „geliefert“ und von der Tante mit der Schöpfkelle in Maß und Form gebracht. Dann hatten die Leiber in Zimmerwärme aufzugehen. Inzwischen wurde der Backofen mit Holz und Reisig beheizt und vorbereitet, das Feuer entfacht. Die Glut wurde zu gegebener Zeit ausgeräumt und in den Ofen der Küche transportiert. Dann begann das Backen. Die Vorgänge wiederholten sich, bis mehr als 100 Brote braun und duftend in den Regalen lagen. Der Ofen in der Stube wurde aus der Küche beheizt und hielt die Wärme zu meiner Freude drei Tage, denn im Haus war es schon kalt, auch mein kleines Zimmer – gut für den Schlaf, nicht für den Aufenthalt. In der Küche heizte ich den Herd. Eine solche „Brotaktion“ gibt es auf dem Hof seit langem, viel Arbeit, aber bewährt und geübt. Für zwei, drei Stunden helfen ab und zu Bekannte. Alle Nacharbeiten blieben für die Tante. Der Bauer fuhr am folgenden Morgen seine Fracht nach Bruneck auf den Wochenmarkt, verkaufte sie und hatte damit mehr, als nur ein „Zubrot.“

Das war meine Zeit auf dem Bergbauernhof, fast drei Wochen, durchaus wieder ein Erlebnis. Ich habe einen Bergbauer erlebt, der der Tradition folgend auf seinem Hof lebt und dort arbeiten muss. Es hat mich wieder nachdenklich gemacht. Hatte ich doch ähnliche Beobachtungen auch auf den anderen Höfen gemacht. Ein hartes Leben.