Backnanger Kreiszeitung – September 2025

Backnanger Kreiszeitung – September 2025

Vom Bürostuhl zum Helfen auf den Berghof

Die Backnangerin Corinna Scheib und der Weissacher Volker Benignus arbeiten im Sommer ehrenamtlich auf Bergbauernhöfen in Südtirol mit. Das hat vor 25 Jahren auch schon Günter Brucks aus Aspach gemacht. Zwei Jahrzehnte lautet seine Motivation ganz einfach: Etwas Gutes tun.

Rems-Murr. Die Liebe zu den Bergen liegt Günter Brucks im Blut. Aber während der 85-Jährige früher zu seinem eigenen Vergnügen in den Alpen unterwegs war, hat sich das im Jahr 1986 mit dem Tod seiner ersten Frau Ruth grundlegend geändert. Das Paar hatte in den letzten gemeinsamen Tagen lange Gespräche geführt. Auf ihrem Sterbebett sagte die Todgeweihte damals unter anderem: “Ich wollte doch noch viel Gutes tun im Leben.” Unter Brucks antwortete: “Das mache ich jetzt für dich”. Kurz danach hielt er das Buch “Die Erben der Einsamkeit” in der Hand, das vom scheren Leben der Bergbauern in Südtirol handelt. Davon animiert reiste er über den Brenner und wanderte im Taufertal von Rein hinauf in die Berge. In einer Höhe, in der es keine Asphaltstraßen mehr gab, sprach er einen Bauern an, der eben mit einer Sense eine Wiese mähte. “Ich helfe mit” versprach Brucks. Und das tat er. 20 Jahre lang jeden Sommer für mehrere Wochen, stets ohne Entlohnung. Später war seine zweite Ehefrau Edith mit dabei. Die 84-Jährige sagt im Rückblick: “Es gibt doch nichts Schöneres, als wenn man helfen kann.” Sehr gute Erfahrungen mit einem solchen Einsatz macht seit drei Jahren auch der Sulzbacher Werner Benignus. Der 73-Jährige ist seit vielen Jahren in den Südtiroler Alpen unterwegs. Ihm ist nicht entgangen, dass die Zahl der Bergbauernhöfe stetig abnimmt, weil oft die Nachkommen ausbleiben oder andere Lebenspläne haben.

Bergbauern sind in den Sommermonaten auf die Hilfe dringen angewiesen

All jene Bauern aber, die Weiter machen, arbeiten tagein, tagaus unter schwierigsten Bedingungen, auch wenn sich die Verhältnisse über die Jahre hinweg stetig verbessert haben. Vor allem in den Sommermonaten sind sie auf Hilfe angewiesen. Manch ein Hof würde ohne Freiwillige, die ein, zwei oder drei Wochen unentgeltlich mitarbeiten, längst schon der Vergangenheit angehören. Für den Unternehme war klar, dass er sich in seinem Ruhestand hier engagieren möchte. Er wandte sich an den Verein Freiwillige Arbeitseinsätze, der diese Hilfe koordiniert. Und arbeitet seitdem jeden Sommer auf dem Laugenhof bei Andrea und Paul Laimer im Ultental. Im vergangen Jahr war erstmals auch Neffe Volker Benignus auf dem Laugenhof. Nach einem Schicksalsschlag hatte ihm sein Onkel geraten: “Das wäre auch etwas für dich, um den Kopf frei zu bekommen.” Der 52-Jährige wagte den Versuch, obwohl der einstige Bauernbub seit sicherlich 20 Jahren keine Heugabel mehr in der Hand gehabt hatte. Sein erster Arbeitstag war aus seiner Sicht optimal. Da ein Gewitter drohte, hielt sich Benignus nicht lange mit einer Begrüßung auf, sondern langte sofort zu. Und so schaffte es der Bauer an diesem Sonntag auf den letzten Drücker, die Ernte trocken einzufahren. Damit war dem Gastgeber vom ersten Tag an klar: “Der kann hinlangen.” Das hat Benignus in den folgenden Tagen auch stets bewiesen. Jeden Morgen um 5 Uhr ging es mit dem Auto vom Hof hoch hinauf auf die Alm. Dort musste er noch damals mehr als 400 Höhenmeter aufsteigen, bis er die Rinder gefunden hatte, die er zum umsorgen hatte. Meist war er gegen 11 Uhr wieder auf dem Bauernhof zurück und half den Bauersleuten auf der Wiese Heu zu wenden, zusammenzurechnen und einzuladen. Auch Holzspalten und -stapeln zählten zum Aufgabengebiet. Am Abend musste dafür gesorgt werden, dass die Milchkühe und die Hühner in den Stall kommen. Und zum Schluss half er noch mit, das Melkgeschirr zu putzen. Abends um 21 Uhr viel der Büromensch in der Regel todmüde ins Bett. Richtig hinlangen musste auch Corinna Scheib aus Strümpfelbach. Die DAV-Bergwanderführerin hatte bei der Alpinmesse auf der Waldbau von der Bergbauernhilfe gehört und sich auf der Homepage eingelesen. Dabei entdeckte sie im Gästebuch einen einfühlsamen und motivierenden Beitrag von Volker Benignus. Nach einem Treffen der beiden stand für Scheib fest: “Das mach ich auch”. Gesagt, getan. In diesem Sommer hat die 54-Jährige Personalreferentin auf dem 1500 Meter hoch gelegenen Thialhof bei Stilfs im Vinschgau knapp drei Wochen lang bei der Heuernte und der restlichen Hofarbeit kräftig angepackt. Scheib stell klar, dass der Aufenthalt mit Romantik à la Ferien auf dem Bauernhof nichts zu tun hat. “Die brauchen die Hilfe, da darf man sich für nichts zu schad sein.” Auch sie spürte den Tausch vom Bürostuhl auf den Berghof in jeder Faser ihres Körpers, “am Abend hat mir alles wehgetan und ich habe ich öfter gefragt, ob ich das alles schaffe”. Abschalten und den Tod seines besten Freundes verarbeiten – das ist Volker Benignus gelungen. Nicht nur einmal saß er auf einer Höhe von über 2000 Meter auf einem Stein und beobachtete, wie direkt hinter der 2-434 Meter hohen laugenspitze die Sonne aufging. Der Weissacher schildert: “Ich war da ganz allein und habe nur ein paar Kuhglücken und das Gezwitscher der Vögel gehört, da kann man seinen Gedanken nachhängen und über Gott und die Welt grübeln”. Corinna Scheib hatte auch einen besonderen Platz, an dem sie zur Ruhe kam, mit Blick direkt auf den Ortler. Da für sie das Bergerlebnis im Vordergrund stand, war das der perfekte Platz für sie. Ebenso wie Benignus berichtet sie vom guten Gefühl jemand geholfen zu haben. Die schweigsamen Bauersleut konnten das zwar nicht wirklich zum Ausdruck bringen, “die waren sehr ruhig”, so Scheib. Nach einem harten Arbeitstag sagte ihr Gastgeber aber schon einmal: “Das macht nicht jede so.”

Eine Lawine hat die Almhütte weggerissen und alles zerstört
Günter Brucks ‘Einsatz ging weit übers normale Maß hinaus. Sein Einsatzgebiet war eine einfache Almhütte Über zehn Jahre hinweg baute er sie neben seiner Arbeit aus, sorgte für fließendes Wasser, baute eine Toilette oder deckte das Dach neu ein. Brucks: “Das war die schönste Zeit meines Lebens.” Dann, im Winter 2000, riss eine Lawine alles weg. Der Kleinaspacher Energiemensch ließ in seinem Engagement nicht nach und half weitere zehn Jahre bei der benachbarten Koflerin aus. Die Frau bewirtschaftet einen der höchstgelegenen Berghöfe in diesem Gebiet. Erst die Pandemie beendete den selbstlosen Einsatz. Dagegen haben Corinna Scheib und Werner und Volker Benignus ihren“Bergfamilien” schon die Zusage gegeben. Nächstes Jahr kommen sie wieder. Dann tauschen sie wieder den Bürostuhl mit dem Berghof.