Erlebnisbericht aus dem Martelltal – September 2023

Erlebnisbericht aus dem Martelltal – September 2023

Smartphones kann man nicht essen – ein Erlebnisbericht

  1. DAS HEUEN

September 2023 Italien, Südtirol, Martelltal – 28°C bei schönstem Sonnenschein

Ich stehe an einem, nicht so steilen, wie ich später noch herausfinden werde, Berghang und spüre, wie der Schweiß an meinem Rücken talwärts fließt. Die Aussicht ist phänomenal, bei strahlend blauem Himmel überblicke ich das Tal umringt von den Bergen, das Dorf liegt ausgebreitet direkt zu meinen Füßen. Geräusche dringen vom Tal nach oben. ich schließe kurz die Augen, es duftet nach Kräutern und Heu, ich höre das Rauschen des nahen Baches und höre das Glockengebimmel der in der Nähe weidenden Kühe. Dann die Kirchenglocke, wie sie die Stunden schlägt, und ein träges Brummen eines Flugzeuges. Dazu das Geräusch der Mähmaschine des Bauern als Grundklang. Ich nehme meinen Rechen wieder auf, und lüpfe das gemähte Gras und die Kräuter talabwärts zu fluffigen Röllchen, die der Bergwind dann wunderbar trocknen kann. Ich mache seit ein paar Stunden Grummet (zweiter Heuschnitt im Spätsommer) in schönster Steillage.

Statt für Drinks mit Schirmchen am Pool, haben mein Mann und ich uns in diesem Urlaub für einen freiwilligen Arbeitseinsatz für die Bauernhilfe entschieden. Mein Mann arbeitet unweit von mir, zusammen mit dem Bauern machen wir Futter für seine Kühe. So romantisch das klingen mag, es ist echt harte körperliche Arbeit, die mir durchaus einen Moment des Zweifels beschert. Da stehe ich auf einer echt steilen Wiese, wo das Stehenbleiben an sich schon Herausforderung genug ist, meine Sehnen und Bänder ächzen, meine Fußknöchel sind derart abgeknickt, dass sie schriftliche Beschwerde wegen Misshandlung einreichen. Meine schweißdurchtränkte Kleidung klebt mir nass am Körper. Plötzlich verschwindet die Sonne hinterm Berg, dafür weht kalter Wind. Mir tut alles weh, ich habe Blasen überall, und richtig kalt ist mir jetzt auch. Ich frage mich: „Was zum Henker mache ich hier überhaupt?“ – „Achja, Futter für Kühe.“ Ich gehe mich umziehen und arbeite weiter. Bald erlöst mich das metallische Schneidgeräusch des Heuladers. Nur noch das Heu im Heuschober unterbringen, und das war es für heute. Für uns, der Bauer arbeitet im Stall weiter…

Und am nächsten Morgen erscheint mir derselbe Hang gar nicht mehr so steil, meine Fußknöchel grummeln nur noch leise vor sich hin. Ich forme fluffige Heuröllchen mit meinem Rechen und merke, da dies keine Arbeit ist, bei der man sich groß unterhalten kann, wie auch ich langsam innerlich still werde. Die repetitiven Bewegungen inmitten der Natur haben etwas Meditatives, dem sich auch mein sonst alles zerdenkender Kopf nicht entziehen kann. Am späten Nachmittag, als der Heulader voll ist, fährt der Bauer vor, und wir sollen die Kühe ihm hinterher in den Stall treiben. Hier zeigt sich schnell, wer die Trümpfe in den Klauen hält…

  1. DIE KÜHE UND DER STALL

Es ist erstaunlich, wie lebhaft Wesen, die mit absolutem Gleichmut den ganzen Tag unser Tun am Berg träge wiederkäuend betrachteten, auf einmal werden können. Laura, Flocke, Nina und Nicol sind auf einmal überall, sogar auf dem Weg zum Gemüsegarten, nur nicht auf dem Weg zum Stall. Nachdem sie genug Unfug getrieben haben, lassen sie sich aber gnädig von uns in den Stall geleiten.

Dort warten schon die zwei Kälbchen, Fiona und ein wunderschöner, lebensfroher und wie ich beim Füttern merken werde, sehr energiegeladener, kleiner Bulle. Im Gegensatz zu den weiblichen Kühen, hat er keinen Namen. Als die Frage warum das so ist meinen Mund verlässt, weiß ich die Antwort. „Er bleibt nicht lange genug“. Stille macht sich breit, denn wir wissen, was es eigentlich für ihn bedeutet. Ich taufe ihn trotzdem auf Fridolin, und weiß, dass damit der Abschied von ihm erschwert wird, denn das wird gewiss einer für immer sein. Mir fällt die Stelle aus der Kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupéry ein: »Was bedeutet ›zähmen‹?« »Das wird oft ganz vernachlässigt«, sagte der Fuchs. »Es bedeutet ›sich vertraut miteinander machen‹.« »Vertraut machen?« »Natürlich« sagte der Fuchs. »Du bist für mich nur ein kleiner Junge, ein kleiner Junge wie hunderttausend andere auch. Ich brauche dich nicht. Und du brauchst mich auch nicht. Ich bin für dich ein Fuchs unter Hundertausenden von Füchsen. Aber wenn du mich zähmst, dann werden wir einander brauchen. Du wirst für mich einzigartig sein. Und ich werde für dich einzigartig sein in der ganzen Welt.«

5:30 Uhr, mein Wecker klingelt. Mein Mann fragt mit nur einem halbgeöffneten Auge: „Wo gehst du hin?“ Ich spüre, wie sich ein breites Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitet: „Ich gehe in den Stall, Kälbchen füttern.“ Der Bauer ist schon da, und hat die Kühe weitestgehend gemolken, so dass ich den Kälbertränkeeimer, der einen roten Sauger hat, direkt mit Milch befüllen kann. Fridolin trinkt mit dem für den Tränkeeimer typischen klackernden Geräusch den Eimer ratzfatz leer, ich muss ihn mit Heu ablenken, um Ihm den Sauger aus dem Mäulchen zu ziehen. Fiona stellt sich mehr an beim Füttern, sie saugt lieber an meinen Fingern, probehalber kommen noch ein paar Stoßbewegungen dazu, die mich ihre Zähnchen und die Kauleiste merklich spüren lassen. Endlich bekomme ich den Sauger in ihr Mäulchen reingetrickst, und darf meine Finger behalten. Der Bauer bringt die Milch zum Tankwagen, in der Zeit gebe ich den großen Kühen das Kraftfutter, was Slalom im Versorgungsgang um riesige Rinderköpfe bedeutet, denn sie wollen alle da dran. Im Anschluss gibt es Heu und ich miste noch grob aus.

Der Bauer und ich stehen verträumt vor Fionas Box und schauen das Kalb an, wir freuen uns, weil sie wieder besser frisst. Fiona gibt sich redlich Mühe, zu beweisen, dass sie den Beinamen „Schlangenhals“ verdient: sie reibt ihren Kopf an mir, taucht unter meiner Achsel durch, und versucht mit ihrer rauen Zunge mein Ohr abzuschlecken; ich gehe derweil zum beidhändigen Kraulen über. Voller Milch, die ich selbst verschüttet hatte, Kälberspucke und sonstiger im Stall befindlicher Substanzen gehe ich glücklich ins Haus zurück.

  1. RIN IN DIE KARTOFFELN

Das Wetter wird zu schlecht fürs Heuen, so gehen wir Kartoffeln ernten. Natürlich am Hang. Hier steht man näher zusammen, so kommen wir ins Plaudern bei der Arbeit. Wir beackern alle möglichen Themen und die Kartoffeln ernten sich praktisch nebenbei. Am dritten Tag wird es noch besser, da nimmt der Bauer Fiona mit, damit sie sich die Beine vertritt und in Schwung kommt. Fiona gewinnt Goldmedaillen in den Disziplinen „Galopp über den Acker“, „Scheinangriffe“ und „Hüpfen wie ein junges Reh“. Danach überprüft sie den Acker auf Essbarkeit, kommt aber immer wieder wie ein kleines Kind zu uns, um anzudocken: erst beim Bauern, dann ist mein Mann dran, dann ich. Und dann zieht sie wieder los, um etwas auf seine Essbarkeit zu überprüfen. Schöner kann man bei der Arbeit nicht abgelenkt werden. Trotz dieser wunderbaren Ablenkung werden wir schnell mit der Ernte fertig. Der Bauer ist froh, er kann jetzt den Winterroggen aussäen.

  1. DER TAG

Der Tag beginnt für unseren Bauern in der Frühe so gegen 5 und endet irgendwann am Abend, wenn die Tiere versorgt und die letzten Handgriffe getan sind. Ich bin beeindruckt, wie viel er leistet mit seinen 68 Jahren, und wie er sein Tagwerk verrichtet: nämlich mit Ruhe und Gelassenheit, eine Aufgabe nach der anderen, und Humor darf dabei nicht fehlen. Er klagt zu keinem Zeitpunkt. Ganz im Gegenteil, er wirkt sehr genügsam und zufrieden, da wo er ist und mit dem, was er hat. Ich werde nachdenklich, und versuche zu begreifen, was hier eigentlich Magisches geschieht, denn mein Leben daheim sieht diametral anders aus.

Die Tage ähneln sich einerseits, aber die Natur und ihr Rhythmus bringt neue Aufgaben mit sich: wie das Heuen, das Ernten und die Aussaat. Als wir z.B. in einer abenteuerlichen Fahrt über Schotterpisten die 224 Kilo Almkäse von den Kühen des Hofes von der Lyfialm mitbringen, muss man sich fortan auch täglich um diesen kümmern. So kommen und gehen die Aufgaben im Wechsel der Jahreszeiten und richten sich auch nach den Bedürfnissen der Tiere.

Ansonsten haben die Tage hier für uns in etwa die gleiche Struktur:
morgens begleite ich den Bauern im Stall, dann gibt es ein Frühstück, wir versorgen unseren Hund, den wir mitbringen durften, ich mache etwas im Haushalt. Wir sind im modernen Haus in einer großzügigen Ferienwohnung untergebracht, die dortige Küche wird schnell zum Lieblingsplatz. Sie hat auch einen Balkon mit fantastischer Aussicht. Gegen 8:30 – 9:00 Uhr geht es mit der „eigentlichen“ Arbeit für meinen Mann und mich los. Wir treiben die Kühe die paar Minuten Fußweg auf die Weide und verrichten die Feldarbeit (ob Heuen oder Kartoffelernte) unmittelbar nebenan. Ich arbeite bis 11:30 Uhr und gehe dann für uns alle kochen, gegen 12:30 Uhr kommen auch die Männer hungrig vom Feld. Wir sitzen zusammen beim Mittagessen und unterhalten uns. Im Anschluss ist bis 14 Uhr Siesta angesagt, dann geht es wieder aufs Feld, je nachdem bis so ca. 17:30 – 18:00 Uhr, dann treiben wir die Kühe zurück zum Stall. Während der Bauer dort bleibt, um die Tiere zu versorgen, so haben wir schon Feierabend. Wir essen was, gehen mit Hund Anton Gassi, haben etwas Freizeit und gehen recht früh ins Bett.

Ich sitze mit meinem Alpenminztee abends in der Küche und wundere mich, wie kann es sein? Ich habe seit 5:30 Uhr den ganzen Tag körperlich gearbeitet, dies größtenteils im Freien; und dabei den Radius von maximal 200 Metern kaum verlassen, kaum Zeit für mich gehabt, und sitze hier freilich körperlich angestrengt, aber dennoch angenehm entspannt, zufrieden, mit dem Gefühl einen schönen Tag gehabt zu haben, ganz erfüllt. Mir mangelt es an nichts, im Gegenteil. Wie kommt es? Mir geht durch den Kopf: ja es ist die unterbrechungsfreie Arbeit, die ohne Hektik, und Stress und Störungen von außen, inmitten schönster Natur draußen verrichtet wird, und die unmittelbar sinnstiftend ist: ich sehe die Früchte meiner Arbeit sofort.  Wenn nach dem Melken und Füttern sich das zufriedene Wiederkäuen im Stall einstellt. Wenn der Heuschober so voll ist, dass man langsam nicht mehr weiß, wohin mit dem Heu. Ich mache eins nach dem anderen und mein Handy nutze ich kaum, es gibt keine „künstlichen“ Deadlines, alles hat seine Zeit. Ich bin gedanklich bei dem, was ich faktisch tue, und nicht bei zehn völlig anderen Dingen. Ich bin wohl achtsam, bei mir. Was ich tue, nützt anderen und hat Sinn. Das ist sehr erfüllend.

Das ist es, was ich brauche, und nicht das, was die Werbung und die Apps auf meinem Smartphone mich glauben lassen wollen. Deswegen brauche ich nicht viel, und doch so viel. Das ist in unserem modernen Alltag schwer zu erreichen.

  1. WAS HAT ES MIT DEM SMARTPHONE IM TITEL DENN JETZT AUF SICH?

Vor unserer Abreise hatte ich mich intensiv mit dem Themen Medienkonsum, Social Media und „digital detox“ beschäftigt. Als wir in der Ferienwohnung ankommen, fällt mir sofort ein dort liegendes Buch ins Auge: „Mensch bleiben im digitalen Chaos“ von Toni Pizzecco (der emeritierter Hausarzt des Bauern übrigens). Ich halte es nicht für Zufall, dass es da liegt, und lese es in meiner knappen Freizeit. Das Buch beschreibt die Phänomene wie empfundene Unzufriedenheit, Ruhe – und Rastlosigkeit, dem Zwang sich vergleichen zu müssen und die unterschwellig transportiere Botschaft, selbst defizitär zu sein. Es spricht von der „Notwendigkeit“ permanent erreichbar zu sein und ständig reagieren zu müssen, davon, dass wir andauernden Input bekommen, der uns über den negativity bias unseres Hirns am Schlafittchen vor dem Bildschirm hält. Und uns in einer endlos zu scrollenden Scheinwelt gefangen, nur dazu entwickelt, uns noch mehr Werbung zeigen zu können, koste es unseren Seelenfrieden und unsere Lebensqualität. Parallel dazu erlebe ich auf dem Hof das heilsame Kontrastprogramm. Wo man auf kleinstem Raum echte Dinge tut, die wahre Freude machen. Reale Realitäten eben.

  1. DER ABSCHIED

In der Woche bin ich in ein völlig anderes Leben eingetaucht, eins, welches uns Menschen und unseren Bedürfnissen angemessener ist als das, welches wir alltäglich führen. Es ist kein leichtes Leben, aber paradoxerweise macht es zufriedener und glücklicher. Ich hoffe etwas davon in meinen Alltag transportieren zu können. Der Bauer ist mir ans Herz gewachsen, mit ihm zu Arbeiten hat mich sehr beeindruckt und es fällt mir wie sonst nach keinem Urlaub schwer, mich auf den Heimweg zu machen. Wären wir „nur zum Wanderurlaub“ gekommen, wäre es sicherlich sehr nett gewesen, der Einsatz hier aber war für mich eine besondere Erfahrung. Die ich jedem nur empfehlen kann. Jahn I.