Erlebnisbericht aus dem Vinschgau Juli 2019

Erlebnisbericht aus dem Vinschgau Juli 2019

Mein erstes Mal … auf dem Bauernhof

Ich liebe die Zubereitung meiner Mahlzeiten und es ist mir sehr wichtig zu wissen, woher meine Lebensmittel kommen, wer sie hergestellt hat und wie sie hergestellt wurden. Natürlich wusste ich, dass dies Bauern tuen. Als geborene Städterin hatte ich allerdings bisher nie einen richtigen Bauern oder Bäuerin kennenlernt. Über Jahre hinweg wuchs mein Wunsch, die Menschen, die meine Lebensmittel herstellen, kennenzulernen. Zu Beginn des Jahres 2019 entschloss ich mich, meinen Wunsch in die Tat umzusetzen – neben dem Wunsch, einen ganz anderen Blick als den meines Büroalltages zu erhalten und meldete mich bei der Südtiroler Bergbauernhilfe. Hier wurde mir ein Bergbauer in einem kleinen Dorf vorgeschlagen. Ich entschied mich für ihn, weil sein Hof mit 30 Kühen (ganz exakt: 15 Milchkühe und 15 Jungvieh) einen echten Bauereinsatz versprach.

Der Bauer lebt auf seinem Hof mit seiner Mutter. Immer wieder kommt sein Bruder zu Besuch. Mit ihnen habe ich sieben Tage verbracht – mein erstes Mal auf einem Bauernhof. Mein Leben auf dem Bauernhof sah so aus, dass ich früh morgens um 5:30 Uhr im Stall für zwei Stunden mitgearbeitet habe. Am Vor- und Nachmittag waren wir mit der Heuernte beschäftigt und am Abend ging es um 17:30 Uhr noch mal für zwei Stunden in den Stall, wo 7 Kühe, 4 Kälbchen und Hühner zu versorgen waren. Die anderen Kühe waren auf den Almen der Umgebung. Nach vollendeten Tageswerk hielt ich das Erlebte fest:

SONNTAG – ANREISETAG

Nach einer anstrengenden Fahrt mit viel Verkehr, Hitze, vielen Tunneln und einer Menge innerliche Aufregung war ich bei meiner Ankunft sehr müde. Doch die wunderschöne Umgebung und ein herzliches Willkommen aller Familienmitglieder ließen die Müdigkeit schlagartig verschwinden. Nach einem leckeren Abendessen ging‘s sofort in den Stall und meine Eindrücke überschlugen sich: Schutzkleidung raussuchen, anziehen, die neuen Gummistiefel an, rein in den Stall und den ersten Kuhpupser meines Lebens erlebt. Danach bin ich von Kälbchen geleckt worden und habe die erste Kuhscheiße in meinem Leben an die Hand bekommen. Zugegeben: es war ein ganz kleiner Klecks, aber für mich sehr eindrücklich. Meine wichtigste Erkenntnis dabei war, dass man Kuhscheiße abwischen kann und das Leben weitergeht. Und wenn man in einen Kuhstall geht, braucht man unbedingt Schutzkleidung. Auch auf dem Kopf – sonst stinkt man und bekommt den Geruch nicht mehr los. So viel gelernt in so wenigen Stunden. Danach bin ich ins Bett gefallen und das mit Vorfreude auf den nächsten Sonntag, da dann das Almfest der Dorfbauern anstand.

TAG 1

So fertig – so körperlich fertig war ich lange nicht mehr. Aber es tat auch so gut, wieder Muskeln zu spüren, die lange im „Standby-Modus“ waren. Nun habe ich einen Spickzettel bei mir zu liegen, auf dem steht wie viel ich den Kälbchen und den Hühnern füttern muss.

Der Bruder schläft morgen aus (ausschlafen ist hier relativ: da er sonst vor seiner Büroarbeit im Stall hilft) und lässt mich die Stallarbeit mit dem Bauern zu zweit machen. Ich finde: das ist eine Auszeichnung! Gleich am zweiten Morgen, alleine mithelfen zu dürfen. Hut ab und großen Respekt vor den Bauern, die uns nähren und so unterbezahlt sind. Die Kühe stehen hier zwar die letzten Lebensjahre im Stall, aber dürfen zwei Jahre bevor sie das erste Mal kalben auf die Alm und bekommen tollstes Futter. Wie ich später erfuhr gibt der Bauer seine schwangeren Kühe auch auf die Alm über den Sommer. Ich finde das ist voll okay. Nur der Milchpreis ist nicht okay – ganz im Gegenteil. Nach dem Frühstück und dem Mittag ging‘s auf die Wiesen zum Mähen. Abends im Stall besuchte uns ein Bauer aus dem Dorf. Natürlich voller Neugierde welche Erntehelferin aktuell da ist. Er bewunderte meine gelben Gummistiefel, die am ersten Tag noch im frischen Gelb glänzten. Ich glaube das passiert einem nur auf dem Dorf, dass neue Gummistiefel so bewundert werden. Zum Schluss des Tages genieße ich den sehr schönen Blick aus meinem Fenster.

TAG 3

Gestern am Tag 2 war ich zu müde, um „Bericht“ zu schreiben. Gestern Vormittag bin ich mit dem Bergbauern auf Besorgungstour im Städtchen gewesen: Landmaschinenhändler, Tankstelle, Schreibwarenladen, um Klarsichtfolien für‘s Almfest zu holen und zum Gartenbedarfshändler, um einen neuen Rechen und Hühnerfutter zu besorgen. Dann ging‘s noch zum Bauernbund, um die Steuererklärung abzugeben. Immer wieder haben wir Leute aus dem Dorf getroffen und der Bauer hat seine neue Erntehelferin vorgestellt. Zwei schöne Begebenheiten von Heute neben dem vielen Lachen, das hier sprudelt. Einmal wurden wir von einem Touristen nach dem Weg zur Alm gefragt. Nachdem ich ihm den Weg gezeigt hatte, sagte er aus tiefsten Herzen und voller Glückshormone: wie schön wir es hier haben. Ich konnte ihm da nur zustimmen und in sein Augen-Sterngefunkel miteinstimmen. Die zweite schöne Begebenheit war: beim Warten auf den Bauern, der das Heu zur Scheune fuhr, im getrockneten Heu zu sitzen und auf die Berge zu schauen. Intensiver als ein vierstündiger Meditationskurs – und dann noch an der frischen Luft

Die Tage 4 und 5 waren umrahmt von der morgendlichen und abendlichen Stallarbeit. Dazwischen haben wir auf Hochtouren das Heu eingeholt, da sich Regen angekündigt hatte. Auf den letzten Drücker sprich beim ersten Regentropfen hatten wir das Heu ins Trockene gebracht. Körperlich war ich an diesen beiden Abend am geschafftesten und ging ohne eine Zeile oder gar ein Wort zu schreiben ins Bett.

TAG 6 – vorletzter Tag

Schade, dass die Zeit schon fast rum ist. Intensiv war‘s. In den letzten Tagen habe ich erfahren, welch meditative Aufgabe ist es, Mist auszukehren. Gestern habe ich mir beim lieben Gott laut einer Dorffrau einen Strich erarbeitet. Denn ich habe den Pater zur Abendmesse geholt und danach in sein Klosterzuhause zurückgebracht. Ich glaube, dass ich mir sogar weitere Striche in dieser Woche erarbeitet habe. Denn das Lachen anderer Menschen, was ich zum Beispiel beim Erzählen meiner Städtergeschichten hier hervorgelockt habe, hat ebenfalls Striche eingebracht. Schön war am Morgen gegen 7 Uhr der Kuhauftrieb, der genau vor der Stalltür stattfand. Hundert Kühe kamen vorbei. Die Kühe im Stall waren so begeistert, dass sie in ein freudiges Muhen einstimmten. Ein einziges Muhen, Kühe schauen und Glockengebimmel. Es war wunderschön! Lustig, dass keiner der Touristen an der Straße stand. Der Almabtrieb ist einfach zeitlich für Touristen attraktiver, denn er findet nachmittags statt.

TAG 7 / SONNTAG / ABREISETAG

Die ganze Woche hatte ich mich auf das Almfest gefreut und nun war der Tag da. Nach der morgendlichen Stallarbeit wurde gefrühstückt und sich für das Almfest schön gemacht. Dann ging‘s zur Alm. Dort trafen sich die Bauern und bereiteten ihr Fest vor. Das Almfest wird von den Bauern des Dorfes organisiert und hat als feierlichen Höhepunkt den Anschnitt des ersten neuen Käses des Jahres, der aus der Milch ihrer Kühe gemacht wurde. Nach einem Wortgottesdienst begann das Fest. Ich bekam die Aufgabe, den Kuchen der Bauersfrauen, auszugeben. Es waren mehr als 20 wunderschöne das Auge und den Gaumen schmeichelnde Cremetorten. Ich brachte alle an die Frau, den Mann und das Kind … und erntete dafür glückliche Gesichter bei den Besuchern und den Bauersfrauen. Nach dem Fest ging‘s zurück auf den Hof zur abendlichen Stallarbeit. Bei mir legte sich Traurigkeit auf‘s Gemüt, da meine sieben Tage auf dem Bauernhof zu Ende gingen und ich mich am Abend verabschieden musste

Der Abschied vom Hof und die Rückkehr in ein körperlich entspannteres Leben war für mich viel schwieriger als ich gedacht hatte. Ein klares Zeichen dafür, dass mein erstes Mal auf einem Bauernhof ein voller Erfolg und eine große Bereicherung für mich war.

Das habe ich aus meiner Zeit beim Bergbauern und seiner Dorfgemeinschaft mitgenommen:

1.) Wenn alle Bauern auf‘s Feld bzw. in die Wiesen fahren,
dann immer mit den gleichen Geräten.

2.) Es gilt, ganz im Hier und Heute zu leben, auch wenn das Fernziel,
die Ernte einzuholen, absolut klar ist.

3.) Eine Denkpause zu machen tut sehr gut.

4.) Das Muskeln-Durcharbeiten auf einem Bauerhof ersetzt
mindestens 10 Wellnessmassagen.

5.) Sich vom Leben überraschen lassen macht Spaß.

6.) Eine geringe Reizeinwirkung tut der Seele gut.

7.) Eine gute Gemeinschaft gibt Halt.

Abschließend ein Wort zur Südtiroler Bergbauernhilfe. Ich finde die Arbeit dieses Vereins toll, weil dadurch Menschen mit so verschiedenen Lebensumständen zusammenführt werden, die sich auf normalen Wege nie treffen würden. Der Austausch gibt einem so viel Positives. Der Verein hilft Menschen in Notlagen und unterstützt Kleinbauern. Genau die Bauern, die immer in der Werbung herangezogen werden, um dem Konsumenten und den Touristen eine heile Welt zu präsentieren. Und sie sorgen ja auch für das Gefühl, dass in den Bergen die Welt noch in Ordnung ist! Die Betreuung des Vereins hat mir sehr gefallen und ich fühlte mich sehr gut betreut. Vom ersten Interview, wo man auf die Arbeit vorbereitet wird und der Verein auslotet, was der beste Einsatzhof für einen sein könnte, bis hin zum Anruf in der Einsatzzeit, um sich zu vergewissern, ob es dem Erntehelfer gut geht.