Landwirt – Februar 2023

Landwirt – Februar 2023

Erinnerungen im Einweckglas

Was freiwillige Erntehelferinnen und -helfer von ihrem Einsatz mitnehmen, hat eine Bergbäuerin aufschreiben lassen. Herausgekommen ist eine Sammlung rührender Botschaften: Sie erzählen von harter Arbeit, Dankbarkeit und vom Bergbauernleben im Takt der Kuh.
von renate anna rubner

 

Auf 1300 Metern Meereshöhe liegt der Hof in steilstlage mit 147 Erschwernispunkten. Etwa zwei Hektar Heimweide und fünf Hektar Wiese und Bergland. Auch Wald gehört zum Hof. Klimatisch liegen wir in Gunstlage, aber unsere größte Herausforderung ist die Steilheit, sagt der Bauer. Im Schnitt stehen acht Milchkühe und vier Kälber im Stall. Fünf Schweine und einige Schafe werden hier gehalten.
Der Bauer verarbeitet die eigene Milch zu Käse, seit 2012 betreibt er eine Hofkäserei und vermarktet seine Produkte direkt. Es gibt also viel Arbeit am Hof: bei der Heuernte, im Wald, im Stall und in der Käserei. Schon bald nach der Hofübernahme hat der Bauer beim Verein Freiwillige Arbeitseinsätze angeklopft und um Hilfe gebeten, die Hof- und Erntearbeit wäre nicht allein zu bewerkstelligen gewesen.
Seitdem kommen freiwillige Helferinnen und Helfer fast das ganze Jahr über an den Hof. „Wir setzen sie ihren Fähigkeiten gemäß ein“, erzählt die Bäuerin. Manche kommen mit dem steilen Gelände nicht zurecht, sie können in der Käsepflege, beim Abpacken oder im Stall eingesetzt werden. Andere kommen schon seit Jahren immer wieder und helfen, wo sie gebraucht werden. Die Arbeit ist fast immer hart und immer viel. Das wird den Freiwilligen schnell bewusst.

Prägende Momente konservieren

„Ich habe einen Kalender, den ich als Tagebuch nutze“, erzählt die Bäuerin. „Darin schreibe ich alles Mögliche auf. Einmal stand in dem Kalender, man solle seine schönsten Momente aufschreiben und wie in einem Weckglas konservieren.“ Daraus ist eine besondere Idee entstanden: Die Bäuerin forderte die Helferinnen und Helfer, die im letzten Jahr an den Hof gekommen sind, dazu auf, auch ihre ganz persönlichen Eindrücke und Gedanken während des Arbeitseinsatzes aufzuschreiben.
„Immer, wenn jemand ein paar Tage bei uns ist, frage ich mal nach, wie es ihr/ihm so geht: mit der Arbeit oder auch im Zusammenleben mit uns. Im letzten Jahr habe ich im Laufe dieses Gesprächs dann das Blatt Papier ausgehändigt und um ihr prägendstes Ereignis, um
Anregungen oder auch Kritik gebeten.“ Viele sind der Aufforderung gefolgt, die Bäuerin hat alles in einem Weckglas gesammelt.
In der Adventszeit hat sie gemeinsam mit ihrem Mann dann nach und nach die Aufzeichnungen herausgenommen und gelesen. Das waren für beide bewegende Momente. „Durch die Botschaften haben wir Begeisterung und Zuspruch für unser Tun gespürt. Sie haben uns tief berührt und sind
deshalb etwas ganz Kostbares für uns, erzählt sie. Die Botschaften sind sehr unterschiedlich ausgefallen, manche waren kurz, andere hatten mit den paar Zeilen, die ihnen zur Verfügung standen, nicht genug Platz. Einer hat sogar ein Bild gezeichnet: vom Hof, der imposanten Bergspitze dahinter und über allem ein farbenprächtiger Sonnenaufgang.

Viel Arbeit, aber auch Ruhe und Sicherheit

Was alle Botschaften gemeinsam haben, ist Dankbarkeit: für die Gastfreundschaft am Hof, die wunderbare Aussicht, die Zufriedenheit nach getaner Arbeit. Durch das einfache Leben am Berg haben wohl viele gemerkt,
dass es die kleinen Dinge im Leben sind, die es lebenswert machen.
Allen Helferinnen und Helfern wurde im Laufe ihres Arbeitseinsatzes klar, dass die Berglandwirtschaft vor allem Arbeit bedeutet, für viele war das ernüchternd: Keine Hofromantik, sondern von morgens bis abends arbeiten, 365 Tage im Jahr. Und wenn man sich auch nur einen Tag „frei nehmen“ will, dann muss das auf lange Hand geplant und organisiert werden.
In den Botschaften wird deutlich, dass die freiwilligen Helferinnen und Helfer durch die Arbeit am Hof auch die landwirtschaftlichen Produkte besser schätzen lernen: den Geschmack des eigenen Specks, des erntefrischen
Gemüses und der frischen Milch. Im neu gewonnenen Bewusstsein, wie viel Mühe und Know-how hinter all diesen Produkten steckt.
Bewusst wurde den Freiwilligen auch, wie vielfältig die Arbeit eines Bauern ist, vor allem, wenn er seine Rohstoffe selbst verarbeitet und vermarktet. Entsprechend vielseitig müssen auch seine Fähigkeiten und Fertigkeiten sein: Er muss über die Tiere Bescheid wissen und über die Hygiene in der Käserei, muss die Preiskalkulation im Griff haben und den Fuhrpark ebenso, muss sich Verkaufskanäle erschließen und den Tierarzt ersetzen, wenn die Kuh kalbt. Kaum ein Beruf ist so umfassend.
Trotz der Herausforderungen, die es am Hof zu bewältigen gilt, merken die meisten aber auch, dass dieses Leben am Hof Ruhe in ihr Leben bringt: weil die Uhren auf einem Bergbauernhof einfach anders ticken als in einer Großstadt. Geprägt durch die Erfordernisse der Natur und der Kühe am Hof entsteht ein Rahmen, der Sicherheit gibt. Und Geborgenheit. Was den Bauersleuten beim Lesen auffiel, war, dass die Freiwilligen sie zwar in ihrer Arbeit am Hof unterstützen, dass sie andererseits aber auch viel mitnehmen können. Der Gewinn liegt also auf beiden Seiten.
Und er bleibt bestehen: Denn die Bäuerin hält mit vielen Kontakt, über Messengerdienste, Instagram und Facebook: Manche sind Kunden, sie werden auch bis nach Deutschland mit hofeigenem Käse beliefert. Wenn es zwischenmenschlich gut geklappt hat, ist es ihr auch wichtig, sie am Erfolg ihrer Arbeit teilhaben zu lassen: „Wenn jemand beim Käsen dabei war, schicke ich ihm schon mal Bilder vom gereiften, verkaufsfertigen Laib. Wenn jemand im Garten geholfen hat, schicke ich Bilder von der Ernte. Wer im Sommer Bretter gehobelt hat für den Umbau, bekommt jetzt ein Bild von den verbauten Brettern.“
Die Freiwilligen schätzen das und schicken ihrerseits Fotos, kommentieren und senden Grüße. Manche kommen immer wieder, schon seit Jahren. Klinken sich aus und nehmen sich die Freiheit, an den Hof zu kommen. Wo die Uhren im Takt der Kuh ticken.