Torgauer Zeitung – Jänner 2022

Torgauer Zeitung – Jänner 2022

Als Helfer gekommen und als Freund gegangen

Torgau/St. Leonhard. TZ-Redakteur Thomas Manthey hilft seit fünf Jahren im Rahmen einer Hofzeit einer Bergbauern-Familie in St. Leonhard (Italien) im Alltag – eine Auszeit vom Alltag in Deutschland.

Wie erklärt man, was eine Hofzeit ist? Am schnellsten und einfachsten so: Eine Hofzeit ist anstrengend für den Körper, jedoch für Seele und Geist Urlaub. Es ist eine Auszeit vom Alltag, von der Schnelllebigkeit. Bei einer Hofzeit geht man Bauern bei der täglichen Arbeit im Wald, Stall, auf der Alm und im Haushalt zur Hand. Es ist ein Ehrenamt. Geld gibt es für die Tage und Arbeit auf dem Hof nicht, dafür erhalten die Helfenden neben freier Kost und Logis viel frische Bergluft, grandiose Ausblicke, Dankbarkeit, Warmherzigkeit und natürlich gutes Essen. Es entwickeln sich Freundschaften bis hin zu einer tiefen Verbundenheit. Man lernt Land, Leute, Regionen und Kulturen kennen und die kleinen Dinge (wieder) schätzen. Und das sind unbezahlbare Werte.

Seit mittlerweile fünf Jahren helfe ich über den italienischen Verein „Bergbauernhilfe“ einer Bergbauern-Familie in St. Leonhard im Passeiertal (Südtirol/Italien), absolviere einmal im Jahr eine mehrtägige Hofzeit. Und ich bin glücklich dabei. Denn diese Hofzeit tut mir wie auch meiner Bergbauernfamilie um Jungbauer Hermann Heel gut.

Ich war schon längere Zeit auf der Suche, für mich etwas Besonderes, wenn nicht sogar das Besondere zu machen. Es sollte etwas nur für mich sein. Ideen dazu hatte ich einige: Den Camino de Santiago (Jakobsweg) von Frankreich aus per Rad oder zu Fuß bis nach Santiago de Compostela in Nordspanien absolvieren. Oder aber ein soziales Projekt in Südamerika vor Ort unterstützen. Leider ist es beim Wollen geblieben, denn im realen Alltag war so etwas nicht durchführbar. Meine beiden Jungs brauchen mich hier, deshalb kann ich leider nicht wochenlang unterwegs sein.
Trotzdem ließ ich nicht locker. Bei meiner weiteren Recherche nach einer möglichen Auszeit stieß ich dann im Januar 2018 auf die Internetseite www.bergbauernhilfe.it. Das dort offerierte Angebot klang interessant und verlockend. Es war genau das, wonach ich suchte: Italien, das Land meiner Sehnsucht, Südtirol, Berge, Bauern, Landwirtschaft, Tiere, Natur. Arbeiten und leben auf einem Bergbauernhof. Genau das Richtige für mich – ich war fündig geworden!

Ich bewarb mich bei dieser Organisation, die ihren Sitz in Bozen hat, als Helfer. Die Bewerbung und das Auswahlprozedere sind völlig unkompliziert. Binnen weniger Tage war ich registriert und in die Liste der Helfer aufgenommen worden. Anhand meiner Angaben betreffs meiner Fähigkeiten und der Tätigkeitsbereiche, in denen ich gern arbeiten möchte, wurden mir vom Bergbauernhilfe-Verein fünf Bergbauern beziehungsweise Bergbauernfamilien vorgeschlagen. Ich entschied mich für die Bergbauernfamilie Heel in St. Leonhard am Fuße des Jaufenpasses. Die Familie – drei Generationen – umfasste dazumal sechs und nun sogar acht Familienmitglieder. Die entscheidenden Absprachen mit dem Verein und den Heels erfolgten telefonisch.
Als ich dann im Juli 2018 das erste Mal über Bayern, Österreich und den Brennerpass nach Italien reiste, stellte ich mir aufgeregt schon einige Fragen: Was erwartet mich? Wie wird es sein? Werde ich mich wohlfühlen? Ist es das, wonach ich so lange gesucht habe? Die Antworten darauf hatte ich schon nach wenigen Stunden gefunden: Freude, Glück, Ruhe, besten Schlaf, gute Gespräche, grandiose Aus- und Fernsichten, einen fantastischen Sternenhimmel, gesunde Natur, trinkbares Wasser aus der Quelle auf dem Berg, bestes Essen, neue Sichtweisen auf den Alltag sowie Dankbarkeit und Anerkennung von meinen Bergbauern. Nach ihrer herzlichen Aufnahme fühlte ich mich wertgeschätzt.

Hofzeit bedeutet Arbeit. Zehn und mehr Stunden täglich. Teils harte, teils gefährliche Arbeit am Steilhang, so etwa bei der Heuernte oder bei der Arbeit im Wald. Hofzeit bedeutet nicht Saison, sondern kann ganzjährig absolviert werden. Die Dauer der Hofzeit bestimmt jeder für sich selbst. Und dabei sei ehrlich gesagt: Für uns Flachlandtiroler ist diese Arbeit am und auf dem Berg eine körperlich besondere und mit einer bisweilen sehr hohen Herausforderung verbunden. Doch man akklimatisiert sich und gewöhnt sich von Tag zu Tag mehr an das Arbeiten in der Höhe und im schwierigen Gelände.

In den zurückliegenden fünf Jahren habe ich viele Tätigkeiten auf dem Hof erledigt. Ich habe mit Hermann und Vater Albert Heel zusammen Beregnungsanlagen zum Bewässern der Bergwiesen repariert, habe stundenlang in Vorbereitung auf die Heuernte am Steilhang Steine von den Wiesen gesammelt, habe die Kühe, Ziegen, Schafe gefüttert und Schaf- und Ziegenställe ausgemistet, habe im ersten Jahr sieben Tage lang Kiefern- und Fichtenstämme entrindet, aus denen dann später Zaunpfähle und Koppelstangen gefertigt wurden, habe eine Woche lang mit dem Jungbauern Holz gespalten, habe auf der Alm Schneebruch und Forstschäden beseitigt und … war dabei immer sehr glücklich.
Während meiner Hofzeit lebe ich inmitten der Familie, genieße zusammen mit „meinen Bergbauern“ die Mahlzeiten, die Ruhepause zur Mittagszeit, spiele mit den Kindern und bekomme einen tiefen Einblick in das Leben, den Alltag und das Wesen der Bergbauern. Dort finde ich meinen Seelenfrieden, finde zu mir selbst.

Sollte Corona es gestatten und die Beschränkungen erlauben, dann absolviere ich im August meine nächste Hofzeit bei den Heels auf dem Oberbrunnerhof in St. Leonhard.
Die Vorfreude ist riesig.