Allgemeiner Anzeiger – August 2018

Allgemeiner Anzeiger – August 2018

Urlaubsglück mal anders

Ferien im Hotel sind schön und gut. Diese Thüringer aber urlauben lieber ungewöhnlich: sie tauschen, teilen und helfen.

Wisst ihr überhaupt, dass das ­eines der steilsten Täler ist? Petra Seeber klingt die Warnung vor ihrem ersten Einsatz noch im Ohr. Klar wussten sie das. Sie und ihr Mann hatten sich das Tal unweit des National­parkes Stilfser Joch extra im Urlaub angeschaut. Da gibt es Wiesen, abschüssi­ger als ein Spitzdach. Aber auch Bergbauern, die dringend Helfer brauchen. „Wir wollten testen, ob wir das packen“, erzählt die 57-Jährige vom ersten Arbeitsaufenthalt im Jahr 2005. Der Verein „Freiwillige ­Arbeitseinsätze in Südtirol“ hatte die Thüringer nach ihrer Anfrage dorthin vermittelt: auf einen Hof in 1380 Meter Höhe. Was sie erlebten war so intensiv, dass sie seither jedes Jahr zur Heu­ernte wieder­kommen.

Zu abschüssig für Maschinen

„Anfangs schmerzen schon mal die Arme von den ungewohnten Bewegungen mit dem Rechen. Oder die Füße, weil sie ständig Halt auf dem steilen Grashang suchen.“ Wolfgang Seeber (59) macht keinen Hehl daraus, dass die Heuarbeit sehr anstrengend ist. Sicher kommen auf den Wiesen auch Maschinen zum Einsatz. „Ist der Hang aber zu steil, hat Technik keine Chance. Dann wird per Hand gemäht.“ Das ist Männersache. Der Bergbauer und sein Helfer bilden ein gutes Team. Auch wenn es darum geht, das Dach zu reparieren, eine neue Mühle zu bauen oder die Bewässerung instandzusetzen. Nur die Kühe versorgt der Bauer allein.

Während Wolfgang Seeber Heu wendet, die Sense dengelt oder Holz spaltet, macht sich seine Frau in der Küche, im Haushalt und im Garten nützlich oder betreut den Bauerssohn. „Es gibt immer zu tun, du musst die Arbeit nur sehen.“ Manchmal bringt die Thüringerin ihre eigene Nähmaschine mit, um zerschlissene Stallhosen zu ­flicken. Der Bauer verliert wenig Worte, dankt es auf seine ihm eigene zurückhaltende Art.

“Die Arbeit erdet uns”

14 Mal haben Seebers inzwischen auf dem Bergbauernhof ­mit angepackt, jeweils zwei ­Wochen im Sommer gegen Kost und ­Logis. Obwohl sie zu Hause – im 700 Kilometer entfernten Vacha im Wartburgkreis – eine Sanitär- und Heizungs­firma führen und wahrlich genug um die Ohren ­haben. „Wir ziehen den Hut vor den ­Bergbauern, die wirklich Extremes ­leisten, ­wollen sie ein klein wenig unterstützen“, ­schildert Wolfgang Seeber die ­Beweggründe. „Die Arbeit dort erdet uns, schärft den Blick für wirklich Existenzielles.“ Seine Frau ergänzt: „Es ist so ein lieber Menschenschlag, so ehrlich und einfach.“ Beide fühlen sich wohl im Tal, wo jeder jedem hilft, und ratschen auch gern mit den Nachbarn. Von Mal zu Mal, sagt Petra Seeber stolz, verstehe sie etwas mehr vom Südtiroler Dialekt. „Wir sind vertraut mitein­ander geworden, ­gehören dazu.“

Umso mehr freut das Freiwilligenpaar, dass der Bauer sein Glück gefunden hat – mit einer Frau, die als Helferin aus Deutschland kam, ihr altes Leben kappte und blieb. Jetzt tollt das gemeinsame Söhnchen über den Hof.

Ist das Heu allen Gewittern zum Trotz getrocknet, geht auch Petra Seeber auf die Wiese. Sie zieht das Heu den Abhang herunter, häuft es am Weg zu gewaltigen Wülsten auf, die die Männer schließlich per Ladewagen in den Stadl bugsieren. Das Beste: Je mehr sich die Scheune füllt, um so freier wird der Kopf. „Wenn wir abends ins Bett fallen, sind wir fix und fertig und trotzdem glücklich.“