Brimi Kurier – Oktober 2020

Brimi Kurier – Oktober 2020

Hilfe für Bergbauern

Mühselig kann die Arbeit auf einem Bauernhof sein. Es läuft nicht immer alles reibungslos
und nach Plan. So war es auch bei MANUELA und RAIMUND FINK am Rifnoler Hof
in Latzfons. Unterstützung fanden sie beim Verein Freiwillige Arbeitseinsätze.

Bekanntlich ist es nur ein Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Im Fall von Familie Fink aus Latzfons war der Tropfen ein eigentlich fröhliches Ereignis, wäre das Fass nicht bereits voll mit Schicksalsschlägen gewesen: „Da wir am Planitzer Hof in Latzfons den Hof in Milchwirtschaft vor Jahren übernommen hatten, besaßen wir mit Übernahme des Rifnoler Hofes einen zweiten Hof. Dort wohnten zwei an Demenz erkrankte Tanten meines Mannes. Die Belastung war enorm, aber es sollte noch dicker kommen: Mein Schwiegervater starb und kurz darauf auch mein Vater“, erzählt die Rifnoler-Bäuerin Manuela. „Außerdem hat unsere älteste Tochter ihr erstes Kind erwartet – mit 15 Jahren.“ Zur Heuernte im Mai wurden Manuela und Raimund zu stolzen Großeltern. „Alles zusammen war für uns damals einfach zu viel“, erinnert sich Manuela mit Tränen in den Augen. Raimund musste frühmorgens aufstehen, um seiner Arbeit in einer Backstube nachzugehen, die Tiere mussten versorgt und die Arbeit am Feld erledigt werden, die Maschinen waren veraltet. Dazu noch der Haushalt, die junge Mutter samt Säugling, die zwei anderen Töchter … „So geht es nicht weiter!“ Trotz Nachbarschaftshilfe war das zumindest für Manuelas Schwester klar, nachdem sie einen Tag am Hof verbracht hatte. Sie machte sich auf die Suche nach einer Lösung für die Familie; fündig wurde sie beim Verein Freiwillige Arbeitseinsätze, auch bekannt als Bergbauernhilfe.

Unterstützung für Bergbauernhöfe
Fragt eine Bergbauernfamilie beim Verein um Hilfe an, ist zunächst ein Lokalaugenschein am Hof geplant. „Für uns ist es sehr wichtig, im Gespräch mit der Bauernfamilie ihre Problematik und ihre Schwierigkeiten zu verstehen“, erklärt Monika Thaler, die Koordinatorin des Vereins. Nicht jeder Hof wird in die Höfekartei der Bergbauernhilfe aufgenommen. „Wir wollen Bergbauern in Südtirol unterstützen, die Höfe unter schweren Bedingungen bewirtschaften und das weiterhin tun möchten“, klärt Monika Thaler auf. „Durch die Hilfe wollen wir ihnen Mut zusprechen, Motivation bieten und Erleichterung schaffen.“ Deshalb hat der Vereinsvorstand ganz klare Kriterien ausgearbeitet, nach denen Höfe in die Kartei aufgenommen werden. Dazu zählen unter anderem eine bestimmte obere Einkommensgrenze, die Erschwernispunkte und die Meereshöhe, auf der der Hof liegt. Auch die soziale, die finanzielle und die gesundheitliche Notsituation am Hof werden beachtet. Zwischen 280 und 340 Höfe, die auf ganz Südtirol verteilt sind, befinden sich das ganze Jahr über in dieser Kartei. Hilfe wird nämlich nicht nur in den Spitzenzeiten der verschiedenen Heuernten von Mai bis Oktober geboten, sondern auch in den restlichen Monaten, sofern sich Helfer melden.

Tausche Bürostuhl gegen Mistgabel
Eine der rund 2.000 Personen, die sich jedes Jahr melden, um freiwillig auf einem Bergbauernhof in Südtirol mitzuhelfen, ist Katrin. Im „richtigen Leben“ ist sie Steuerberaterin und wohnt in einer Kleinstadt in der Nähe von Frankfurt. Bereits drei Jahre in Folge hilft sie an zwei Wochen im Sommer am Rifnoler Hof aus: vom Striegeln der Kühe übers Kälbertränken bis hin zum Kuchenbacken oder mal ein Mittagessen kochen. „Hier bin ich sogar beim Wäsche aufhängen entspannt“, lacht Katrin. So wie sie stehen die meisten freiwilligen Helfer mitten im Berufsleben. Der Großteil der Freiwilligen ist zwischen 30 und 60 Jahre alt. Etwas mehr als die Hälfte der Helfer sind Männer. Knapp 70 Prozent der Freiwilligen kommen aus Deutschland, rund 20 Prozent sind aus Südtirol. Die meisten Freiwilligen spendieren eine Woche ihres Urlaubs für einen freiwilligen Einsatz, während es auch einige Südtiroler gibt, die sich für einen Tageseinsatz zur Verfügung stellen – alleine oder auch als Gruppe.

Hilfe in allen Bereichen
Weil sich jeder als freiwilliger Helfer melden kann, ist es die Aufgabe des Vereins, die Helfer nach bestem Wissen und Gewissen zu verteilen. Der Schwerpunkt der nachgefragten Hilfeleistung ist von Hof zu Hof unterschiedlich: Auf einem Hof geht es beispielsweise darum, die Arbeit in der Küche zu übernehmen, auf einem anderen sind ältere Menschen oder Kinder zu betreuen, damit die Bäuerin entlastet ist und mit aufs Feld gehen kann. „Für die Arbeit am Feld kann man nur kräftige, gesunde und erfahrene Helfer vermitteln. Sonst sind diese bald überfordert und dem Bauern keine Hilfe mehr“, weiß Monika Thaler. Obwohl 2.000 Helfer auf 300 Höfe verteilt werden, gibt es laut Thaler auch immer Höfe, die leer ausgehen. Zum Beispiel sehen sich nur wenige Frauen darüber hinaus, alleine zu einem fremden Mann auf den Hof zu kommen, um zu kochen. „Wir versuchen, jedem Helfer ein paar Höfe zur Auswahl vorzulegen“, so Thaler. „Immerhin kommen sie freiwillig und unentgeltlich, deshalb ist uns die Auswahlmöglichkeit wichtig.“

„Man muss offen sein“
Nicht nur für die freiwilligen Helfer ist es eine Überwindung, bei Fremden zu wohnen und mitzuarbeiten, auch für die Bauernfamilie ist es eine ungewohnte Situation. „Man sollte den Helfern für die Zeit am Hof Anschluss an die Familie bieten und sich nicht zu viele Sorgen machen, ob das wohl alles funktionieren wird. Wir haben Hilfe angenommen und seit Jahren, bis auf eine Ausnahme, nur äußerst positive Erfahrungen gemacht“, sagt Manuela. Bezieht ein Freiwilliger sein Lager am Rifnoler Hof, kann Raimund Fink den Schlaf, der ihm durch die Arbeit in der Backstube fehlt, etwas nachholen. Manuela freut sich über die helfende Hand im Haus, am Feld und beim Versorgen der 12 Kühe, bei der Stallarbeit und beim Melken. „Man möchte es nicht meinen, aber alle freiwilligen Helfer sind unkompliziert und machen alles mit – egal wie dreckig und schweißtreibend die Arbeit ist“, lächelt Manuela verschmitzt. „Sie gehen mit mir in der Früh in den Stall, und dann wird den ganzen Tag gearbeitet, bis nach dem Abendessen alles aufgeräumt ist. Hut ab und Respekt vor dieser Leistung!“ Als Mitbringsel in die Heimat dienen oft Rezepte – Spinatkrapfen und Schlutzer sind hoch im Kurs! So auch bei Katrin, die nach zwei Wochen am Rifnoler Hof wieder ihre Koffer packt. Wenn es nach ihr ginge, würde es vielen guttun, einmal am Bergbauernhof mitzuhelfen. „Es ist schon erstaunlich, wie viel Arbeit Heu macht, wie viel eine Kuh vertilgt und wie viel aus einer Kuh wieder rauskommt“, lacht die junge Steuerberaterin.

Sonnenaufgang als Danke
Gleich wichtig, wie es ist, die Arbeit der Bergbauern zu schätzen, ist es aber auch, Danke für die Hilfe der Freiwilligen zu sagen. „Es ist nicht selbstverständlich, dass jemand seinen Urlaub dafür verwendet, um auf einem Bergbauernhof zu helfen“, gibt Monika Thaler zu verstehen. Am Rifnoler Hof haben Manuela und Raimund einen besonderen Weg gefunden, danke zu sagen: Einmal war es ein Sonnenaufgang am Berg, ein anderes Mal ein Ausritt mit dem Pferd auf der Alm. „Es geht uns darum, dass sich die freiwilligen Helfer am Hof wohlfühlen und eine gute Erinnerung mit nach Hause nehmen“, unterstreicht Manuela. Und so verwundert es nicht, dass die meisten Freiwilligen bereits seit mehreren Jahren auf den Rifnoler Hof kommen.