ff Das Wochenmagazin – Juli 2020

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Steilhang-Surfen

Endlich frei, endlich arbeiten: 2.000 Menschen, vor allem Deutsche, helfen jedes Jahr Südtirols Bergbauern bei der Heuernte. Warum machen sie das?

Konrad Riedls Arbeitstag beginnt früh uns endet spät. Gerade ist Saison, Heumahd; der erste von drei Schnitten. Das heißt Arbeitsbeginn gegen 5 Uhr und Arbeitsende gegen 22 Uhr. Mähen, wenden, einbringen, das alles unter stechender Sonne, das ist harte Arbeit. Besonders für Bergbauern wie Konrad Riedl, deren Hänge so abschüssig liegen, dass man schwindelfrei sein muss, um hier gehen und stehen zu können. Auch ohne schweres Heutuch auf dem Rücken.

Riedls Hof, der Lerchhof auf dem Lichtenberg bei Prad im Obervinschgau, liegt auf 1.300 Metern. Es ist ein kleiner Hof. Drei Hektar Wiesen, ein paar Kühe, Jungrinder, Kälber, Hühner, zwei Schweine. Kleiner Hof heißt aber nicht weniger Arbeit, am Lerchhof gibt es wie auf den anderen 10.000 Bergbauernhöfen im Land viel zu tun. Riedl, 69, „ein alter Herr“ wie er sagt, ist die meiste Zeit des Jahres allein am Hof.

Die Familie unterstützt ihn, aber im Sommer, beim Heu, braucht er zusätzliche Hilfe. Und die bekommt er, gerade leben und arbeiten Ingrid und Gabi aus Deutschland bei ihm auf dem Hof. Beide sind zwischen Mitte 60 und 70 Jahre alt, beide sind pensionierte Sportlehrerinnen und beide machen für eine Woche Haushalt und Heu auf dem Lerchhof.

Seit 20 Jahren bekommt Konrad Riedl Hilfe, vor allem von Deutschen, die lieber mit Heurechen in der Hand am Steilhang stehen, statt am Strand auf einem Badetuch vor sich hin zu rösten. Die Deutschen und die wenigen Südtiroler, die zu Riedl kommen, vermittelt der Verein Freiwillige Arbeitseinsätze.

1996 gegründet, hatte der Verein zunächst vor allem einen Zweck: die Freiwilligen, die sich schon damals auf Südtirols Steilhängen gerne und gratis plagten, gegen Arbeitsunfälle abzusichern. In den vergangenen 24 Jahren hat sich schon mal der ein oder andere in den Finger gehackt, sagt Georg Mayer, Obmann des Vereins und ehemaliger Chef des Südtiroler Bauernbundes.

Bauernbund, Caritas, Lebenshilfe und Jugendring bilden bis heute den Verein, dessen Koordinatorin, Monika Thaler, die Ansuchen der Bergbauern prüft und ihnen die Helfer vermittelt. Von den 10.000 Bergbauernhöfen haben 1.500 die nötigen Voraussetzungen, um für freiwillige Helfer ansuchen zu können. Bis Mitte Juni haben 258 Bergbauern und Bergbäuerinnen um Hilfe gebeten. 2020 ist auch für die Freiwilligen Arbeitseinsätze ein besonderes Jahr. Lange hatte man Angst, dass die Deutschen nicht kommen würden. Nicht weil sie nicht wollten – weil sie nicht durften.

Ein Großteil der Freiwilligen sind wie Ingrid und Gabi aus Deutschland, vergangenes Jahr machten sie 70 Prozent der insgesamt über 2.500 Freiwilligen aus, die Südtiroler stellten 20 Prozent. Das Geschlechtsverhältnis liegt bei 53 (Männer) zu 47 Prozent (Frauen). Wegen der geschlossenen Grenze hatte man Sorge, ob die Freiwilligen kommen, aber der Verein wirbt trotzdem offensiv um Südtiroler Helfer.

Aber wer sind die Leute, ob Deutsche oder Südtiroler, die in ihrer freien Zeit auf einem Bergbauernhof arbeiten wollen? Gratis, nur für Kost und Logis, nicht mal Hin- und Rückfahrt werden bezahlt. „Der eine geht eben in eine Nobelherberge, der andere auf einen Hof“, erklärt Mayr das eigenwillig-ehrenamtliche Sommer-Engagement. Am Abend sind die Helfer körperlich reif für die Insel, für sie ist es dennoch ein mentaler Urlaub. Und das auch noch mitten in den Bergen.

Das hat seinen Reiz für unterschiedliche Menschen quer durch alle sozialen Schichten; die sozialromantische Vorstellung über das bergbäuerliche Leben mag diesen Urlaubsdestinationen unweit der Baumgrenze in die Hände spielen.

Peter Righi, 55, aus Bozen und Kathrin Kiener, 24, aus Natz-Schabs haben sich zum ersten Mal für einen Arbeitseinsatz entschieden. Righi „weil ich gerade Zeit habe und Dinge machen will, die Sinn haben“, und Kiener, „weil ich entlassen wurde und das schon immer einmal machen wollte“. Die Gründe sind individuell: Neugier, Heimweh, Erinnerungen an die eigene Kindheit, das Bedürfnis zu helfen.

Wer bei wem arbeitet, ist keine Frage des Zufalls. Monika Thaler vermittelt die Helfer an die Landwirte, sie weiß, was der Bauer braucht und was der Helfer kann. Bevor sich Righi und Kiener entschieden haben, bekamen sie jeweils drei Vorschläge zugeschickt – Steckbriefe, die den Hof, vor allem aber den Menschen, der ihn betreibt, beschreiben. Der Bauer, bei dem Righi arbeitet, wird etwa als „sympathisch, freundlich, manchmal etwas wortkarger Mann“ charakterisiert. Es ist ein bisschen Bauern-Tinder; ist das Interesse wechselseitig, dann hat Monika Thaler ein Match und kann den Helfer an den Bauern vermitteln. In den meisten Fällen passt’s dann auch.

Peter Righi arbeitete auf einem Hof in einem Sarner Seitental, er half bei der Holzarbeit, scheppte Zirbenstämme. „Harte Arbeit“, sagt er. Aber es sei ein Abenteuer gewesen, „das ist die Realität, da ist nichts geschönt“. Und dann sagt Righi einen Satz, der für alle Helfer gilt: „Ich habe mich gebraucht gefühlt“. Ein Gefühl, das den Helfern wichtig ist, und das nicht trügt. Die Hilfe am Bergbauernhof wird in fast allen Fällen tatsächlich dringend benötigt.

Auch Kathrin Kiener hat sich gebraucht gefühlt. Die 24-Jährige telefoniert mit ff an ihrem letzten Einsatztag auf einem Hof im Tauferer Ahrntal. In den vergangenen Tagen hat sie im Stall geholfen und in der Hofkäserei mitgearbeitet. „Also Urlaub ist das sicher keiner“, sagt sie zu Beginn des Gesprächs, etwas später meint sie dann, „aber man kommt runter, ist weit weg vom Alltag. Also ist es doch wie Urlaub“. Der Großteil aller Landwirte ist für die Hilfe sehr dankbar. Der Verein entschied sich dennoch, in den vergangenen Jahren einige Schulungen anzubieten. Wie man mit Helfern umgeht oder wie es mit der Arbeitssicherheit aussieht.

Beim Arbeitseinsatz treffen oft unterschiedliche Charaktere zusammen. Es gibt Fälle, bei denen der Bauer über den Helfer schimpft, der eigentlich nicht arbeiten, sondern billig Urlaub machen möchte. Oder der Helfer ärgert sich über den Bauern, weil der Hof verwahrlost ist, die hygienischen Zustände nicht dem Standard entsprechen.

Man weiß auch nicht, mit wem genau man für einige Tage zusammenlebt. In den 12 Jahren meldeten drei Helferinnen sexuelle Vorfälle. „Der Bauer hat dann ein letztes Mal einen Helfer gesehen“, sagt Koordinatorin Monika Thaler.

Vor einigen Jahren dann der Tiefpunkt. Ein Mann, den der Verein als Helfer vermittelt hatte, blieb auch nach seinem Arbeitseinsatz mit der Familie in Kontakt. Wie sich später erst herausstellte, missbrauchte er in den Jahren nach seinem Einsatz die minderjährigen Mädchen am Hof. Er wurde verurteilt uns sitzt im Gefängnis.

Dem Verein wurde damals vorgeworfen, man würde Pädophilie vermitteln, ein Vorwurf, über den sich Obmann Mayer immer noch ärgert. Aber man habe aus dem Vorfall gelernt, Männer, die explizit auf einen Hof mit kleinen Kindern wollen, da sei der Verein hellhörig. „Wir leben vom guten Nachruf“, sagt Mayer, der Verein prüfe nach bestem Wissen und Gewissen Hof und Helfer.

Einer, der seit vielen Jahren dabei ist und viele Höfe gesehen hat, ist Valentin Ploner, 56, aus Aicha. Seinen Urlaub verbringt der Angestellte lieber auf den steilen Wiesen als an der Adria. Ploner stammt selbst von einem steil gelegenen Berghof, im Sommer zieht es ihn zurück an seine Wurzeln. „Ich sehe das als Gutes am Nächsten, die brauchen das wirklich.“ Für eine Woche oder zehn Tage lebt er gemeinsam mit dem Bauern oder mit der Bauersfamilie. Die Gespräche, die Landschaft, der Erhalt der Höfe, der tiefe Glaube, der an einigen Höfen noch gelebt wird, das alles lässt Valentin Ploner am Abend zufriedener sein.

Jeden Sommer sucht er sich andere Höfe aus, wenn möglich die extrem gelegenen. Aber nicht nur die Lage ist eine Herausforderung, manchmal sind es auch die Umstände. Einen Sommer arbeitete er auf einem Hof, auf dem es bis heute nur ein Plumpsklo im Wald gibt. „Ja“, sagt er, „manchmal kann man sich auch grausen“. Ihm sei es aber egal, es interessiere ihn sogar. Er freut sich schon wieder auf die Heuarbeit, heuer wird er in der Gegend von Schlanders arbeiten.

Ihren Arbeitseinsatz hat Monika Romen für dieses Jahr schon hinter sich. Die 62-Jährige stammt aus Kaltern, lebt aber seit vielen Jahren in der Nähe von Köln. Im Urlaub zieht es sie nach Südtirol, aber nicht nur an den Kalterer See, sondern zu „ihrem Bauern“ in Passeier. Das ist Erholung für sie, „ich mache den Haushalt und die Heuarbeit und falle am Abend kaputt, aber glücklich ins Bett.“

Dieses Jahr ist sie früher nach Südtirol gekommen, der Bauer braucht dringend Hilfe, es sind weniger Helfer als sonst da. „Normal haben wir uns immer die Türklinke in die Hand gegeben“. Drei bis vier Wochen wird sie auf dem Hof bleiben, „er ist immer so dankbar“.

So wie Konrad Riedl vom Lerchhof. Für ihn ist es schön, wenn Leute auf dem Hof sind. Ein bisschen arbeiten, ein bisschen reden. „Die erzählen mir dann, wie es auf der Welt ausschaut“. Er selbst kann ja nie weg. Probleme mit den freiwilligen Helfern hatte er noch nie „die Arbeit bei uns ist doch schön“. Überhaupt seit es dieses Virus gibt, dessen Name Konrad Riedl nicht gleich einfallen will. „Wir gehören zu den Glücklichen“, sagt der Bauer. Hier oben auf 1.300 Metern habe man von Corona nichts gespürt.

Zu Ingrid und Gabi hat er gesagt, wenn das Heu im Stadel ist, dann können sie sich dort reinlegen, wenn sie wollen. „Dann haben sie ein Heubad“, sagt Riedl und lacht. Wie im Urlaub. Aber gratis.