Mittelbayrische Zeitung – Juli 2020

Mittelbayrische Zeitung – Juli 2020

Leben zwischen zwei Welten

Ehrenamt: Jeden Sommer verwandelt sich Josef Vitzthum in einen Südtiroler Bergbauern. Schwere Arbeit erwartet ihn, und das liebt er
Von Renate Ahrens

SCHWANDORF. Seit gestern ist er wieder hoch oben am Berg, in Südtirol. Klar ist die Luft auf 1400 Metern, es duftet nach Kräutern und frischem Gras. Zurzeit ist Haupt-Heuernte auf den steilen Wiesen in Alta Badia, im Herzen der Dolomiten. Rechtzeitig vor dem Mähen reist der Schwandorfer Josef Vitzthum jeden Sommer in das Dorf Abtei, bereits seit fünf Jahren – aber nicht zur Erholung. Schwere Arbeit erwartet ihn, und darauf freut er sich. Bereichert komme er in seinen Alltag zurück, denn der Einsatz am Berg gebe ihm genauso viel zurück wie er ihm Schweiß koste. „Ich hatte viel Glück in meinem Leben und konnte mit 60 Jahren im Rahmen von Altersteilzeit in den Ruhestand gehen“, erklärt der ehemalige Personalchef der Sparkasse Schwandorf. „Ich möchte der Gesellschaft etwas zurückgeben.“ Dafür hat er sich im Jahr 2015 beim Bozener Verein „Freiwillige Arbeitseinsätze“ beworben. Ziel des Vereins ist es, Bergbauern zu helfen, die in eine Notlage geraten sind, um die Existenz zu
sichern.

Sehr beschwerliche Arbeit
Extreme Höhen- und Steillagen, unwegsames Gelände, raues Klima mit Schnee oft auch im Sommer und kurze Vegetationsperioden schmälern die Erträge und machen die Arbeit beschwerlich, so auch auf dem Colzhof, der für Vitzthum längst zur zweiten Heimat geworden ist. All das macht er freiwillig und unentgeltlich. Er liebt das einfache und harte Leben der Bergbauern und wird in diesen Wochen wieder einer von ihnen. „Servus Josef“, so grüßen ihn die Einwohner. Jeder kennt und achtet ihn. „Ich bin vom ersten Moment an gut aufgenommen worden“, sagt Vitzthum, den viele als ehemaligen Stadtrat kennen oder von seinem Krippenstand am Weihnachtsmarkt, und fügt hinzu: „Wenn man sich selbst freundlich verhält, kommt man weit im Leben.“ Die Bauern lassen ihn gerne an ihrem genügsamen Alltag und an ihren Erfahrungen teilhaben, und das findet der Schwandorfer nicht selbstverständlich. Am heutigen Montag hat sein erster Arbeitstag wie immer um fünf Uhr früh begonnen. Zunächst melkt er mit Bauer Martin die 20 Kühe, denn noch vor acht Uhr muss die Milch gut gekühlt zum Sammelplatz gebracht werden. Auch im Stall geht es einfach zu, ohne moderne Maschinen. Schon immer hat sich der 68-Jährige den Herausforderungen des Lebens ohne Scheu gestellt. Aufgewachsen ist er auf einem kleinen Bauernhof in Neunburg vorm Wald. „Daheim war es selbstverständlich, hart zu arbeiten und auch alles selbst zu reparieren“, sagt er und berichtet begeistert von der Schreinerwerkstatt mit Schlosserei und Schmiede auf dem Colzhof, in der er oft sein handwerkliches Geschick beweist. Im ersten Jahr hat er die Wasserleitung für die Stallversorgung komplett alleine erneuert. „Der Bauer und seine Frau sind mir jedes Mal so dankbar“, sagt Vitzthum, der sich für keine Arbeit zu schade ist.

Man muss schwindelfrei sein
In diesen Wochen arbeitet man vor allem auf den rund 20 Hektar großen, steilen Wiesen – so steil, dass man am Motormäher regelrecht „dranhängt“, wie Vitzthum lachend erzählt. Viele Flächen mäht er mit der Sense, auch das hatte er bei seinen Eltern gelernt. Zum Glück ist er schwindelfrei, überhaupt liebt er Extremes wie Klettern am Fels und er ist zudem Fallschirmspringer. Gewendet wird das Heu nur ein einziges Mal, bevor es trocken in den Stadel gebracht wird. Nicht nur auf dem Hof habe Vitzthum Freud und Leid kennengelernt,
sagt er. Als Personalabteilungsleiter hat er viele Schicksale wie schwere Krankheiten erleben müssen und sie mitgetragen – mehr als von ihm erwartet wurde. Erst kürzlich hat er einen
ehemaligen krebskranken Mitarbeiter im LeHospiz besucht. „Wir hatten einige heitere Stunden zusammen – trotz allem“, sagt Vitzthum. Doch nun widmet er alle Kraft dem Bauernhof, und das sieben Tage in der Woche. Denn auch am Sonntag ist Stallarbeit und Melken angesagt und nachmittags meist das Einbringen von Heu. Der Kirchgang mit der Familie und der anschließende Frühschoppen mit den Bergbauern gehören ebenfalls zum Lebensrhythmus auf dem Berghof. Und im Wirtshaus, so erzählt Vitzthum lachend, wird er übrigens an seine
Heimat erinnert: Es gibt Bodenwöhrer Weißbier.

Bergbauern stoßen oft an ihre Grenzen
Tiere: Die 20 Kühe sind tagsüber auf der Weide. Zeit, sich geruhsam bei ihnen niederzulassen, hat Josef Vitzthum jedoch selten. Sein Arbeitstag endet um 20 Uhr mit dem Abendessen. Die Bäuerin kocht hervorragend, schwärmt er–Spezialitäten wie Speckknödel oder Gerstensuppe.

Werkstatt: Wenn es die Zeit zulässt, repariert Vitzthum alles Mögliche, von der Maschine bis zur Wasserleitung. Oft bringt er Ersatzteile mit, die in Südtirol schwer erhältlich sind,
heuer sogar eine große Drechselbank. In Schwandorf kennt man Vitzthum auch als Krippenbauer.

Voraussetzungen: Grundsätzlich muss es sich um einen schwer zu bearbeitenden
Hof handeln, um Freiwillige zu beschäftigen. Südtirols Bergbauern leben in einer zum Teil noch archaischen Welt, die gleichermaßen von Schönheit und Entbehrung gekennzeichnet
ist.

Freiwillige: Jedes Jahr nimmt die Anzahl an Freiwilligen zu, die gegen Kost und Logis auf den Höfen arbeiten. Die Bergwiesen liegen oft unterhalb der Gletscher. Eigennutz und Wille zu selbstlosem Helfen halten sich im Idealfall die Waage, so betont der Verein „Freiwillige Arbeitseinsätze“.