Stuttgarter Nachrichten – September 2018

Stuttgarter Nachrichten – September 2018

 

Bauer auf Zeit

In Titisee-Neustadt können Urlauber auf einem Bauernhof mitarbeiten – Kost und Logis ist inklusive

Bei Wolfgang Winterhalder kann man Knecht oder Magd auf Zeit werden und auf seinem Kirnerhof bei Titisee-Neustadt mit anpacken. Ein beliebtes Angebot, denn die Arbeit erdet und macht zugleich den Kopf frei.

Von Claudia List

TITISEE-NEUSTADT. Als sie von der Idee hörten, gab es durchaus Kollegen, die sich über Wolfgang Winterhalder lustig gemacht haben: „Als ob die Leute auch noch dafür zahlen, dass sie bei ihm arbeiten dürfen.“ Doch genau das tun sie: die Biologen, Maschinenbauingenieure, Opernsänger und Philosophieprofessoren. Auch wir wollen sein Programm ausprobieren und unseren Arbeitstag mal nicht im Büro, sondern auf einem Bauernhof verbringen. „Knecht auf Zeit“ nennt Wolfgang Winterhalder sein Angebot, das Kost und Logis beinhaltet und als „Magd auf Zeit“ natürlich auch für Frauen gilt. Einen oder mehrere Tage lang packen die Gäste mit an und übernachten in der Blockhütte, die Wolfgang Winterhalder direkt bei seinem Hof in Rudenberg bei Titisee-Neustadt gebaut hat. Für die Verpflegung sorgt Theresa, die Mutter von Wolfgang Winterhalder. Den Knechten und Mägden räumt Winterhalder kein Sonderprogramm ein. Sie erleben den Alltag und helfen bei dem mit, was an diesem Tag getan werden muss: Stall putzen, Zaun reparieren, Wiese mähen, Kühe auf die Alm bringen. Und heute geht’s ums Holzmachen. Allerdings erst nachdem der Stall ausgemistet, die Kühe gemolken und hinaus auf die Weide getrieben worden sind. Auch das Frühstück ist schon vorbei, als wir in den Wald aufbrechen, doch immer noch werfen die Häuser auf der anderen Talseite im Licht der Morgensonne lange Schatten.

Den Holzspalter haben sich die Bauern gemeinsam gekauft

Also rauf auf den Traktor und hinein in den Wald. Er ist Wolfgang Winterhalders Lebensversicherung: „Hier besitzen die meisten Landwirte Holz – ohne das würde es viele Höfe gar nicht mehr geben“, erzählt er unterwegs. Die Baumstämme, die das Sturmtief Burglind im Januar umgemäht hat, liegen am Wegesrand. Von den Ästen sind sie schon befreit. Nun nimmt Wolfgang Winterhalder sie mit dem Traktor in die Zange und stapelt sie hin und her, als seien es Mikadostäbchen. Da kommt auch schon sein Vater angefahren. Im Schlepptau hat der 79-jährige Lothar Winterhalder einen Holzspalter. So heißt das Gerät auf dem Anhänger, das die Bauern gemeinsam gekauft haben, um sich die Kosten zu teilen. Es gibt sogar Geräte, die aus den Stämmen fertig verschnürte Pakete mit einem Meter langen Brennholzstücken machen, wie Wolfgang Winterhalder erzählt, doch die ist selbst als Gemeinschaftsanschaffung zu teuer. Diesen Job übernehmen jetzt die Gäste. „Den Stamm in der Mitte platzieren und immer gut auf die Hände aufpassen – da stecken 40 Tonnen Druck dahinter!“, erklärt der Landwirt, und schon geht’s los. Am Anfang mit gehörigem Respekt vor den Spaltmessern, die über Kreuz angeordnet sind und die Stämme der Länge nach in möglichst gleichmäßige Viertel teilen sollen. Sobald das Holz richtig liegt, setzt Lothar Winterhalder das Druckstück in Bewegung: Mühelos schiebt die Maschine auch dicke Baumstämme durch die Klingen. Es duftet nach Holz. Sind die Scheite anschließend noch zu dick, legt man sie noch mal in den Spalter. Über Stunden geht das so. Raummeter für Raummeter wird es verschnürt und später als Brennholz verkauft. Obwohl Wolfgang Winterhalder den Helfern stabile Arbeitshandschuhe gibt, werden die Fingerspitzen vom vielen Zerren am Holz allmählich empfindlich. Ganz zu schweigen von dem lästigen Ziehen zwischen den Schulterblättern. Die ungewohnte körperliche Arbeit macht sich bemerkbar, auch der Magen knurrt schon, als Wolfgang Winterhalder „Mittagspause!“ verkündet. Auf dem Hof hat seine Mutter das Essen schon auf den Tisch gestellt: Dampfendes Kartoffelgratin, dazu gibt’s eigene Bratwürste und Salate. Die Küche liegt in einem für den Schwarzwald typischen Eindachhof: Menschen und Tiere leben unter einem Dach. Das Wohnhaus erhebt sich auf der Talseite, wo man unten die Kühe auf der Weide sieht. Zum Hang hin erstreckt sich ihr Stall. Der Hof gehört seit vier Generationen der Familie. Auf Biolandwirtschaft hat schon Wolfgangs Vater umgestellt. Als Lothar Winterhalder mit 65 in Rente ging, hat der Sohn 2004 die Verantwortung übernommen. Auf dem Kirnerhof gibt’s Milchkühe, Hühner staksen im Freigehege umher, zwei Pferde strecken neugierig die Köpfe aus der Stalltür, als sich Wolfgang Winterhalder nähert. Auch einen Hund gibt’s, und im Mai haben die Schwalben wieder ihr Quartier am Scheunendach bezogen. Zum Hof gehören

45 Hektar Land, weitere 60 Hektar hat Wolfgang Winterhalder gepachtet. Das alles bewirtschaftet er mit seinen Eltern. Trotzdem findet der 45-Jährige noch Zeit, regelmäßig mit Nikolaus König aufzutreten. Als Bure zum Alange – Bauern zum Anfassen – geben die beiden kabarettistische Einblicke in das Leben eines Landwirts. Die Idee kam ihnen

während der BSE-Krise, wie er erzählt: „Wir haben nach einer anderen Form der Öffentlichkeitsarbeit gesucht.“ Nun bringen sie bei ihren Auftritten die Menschen zum Lachen: „Wir nehmen uns selbst auf die Schippe – aber wir nehmen uns auch die Verbraucher mit ihren Widersprüchen vor.“ Das Knecht-auf-Zeit-Angebot, das es seit drei Jahren gibt, ist für ihn ebenfalls eine Form der Öffentlichkeitsarbeit. Er will einen Einblick in die Arbeit der Bauern geben und erreichen, dass diese wieder geschätzt wird. Er ist auch überzeugt, dass die Landwirtschaft den Menschen viel mehr bieten kann als gute Produkte. „Wenn man einmal am Tag einer Schubkarre voller Mist hinterher-läuft, erdet das ungemein“, sagt er. Außerdem schafft die Hofarbeit im Team seiner Ansicht nach ein ganz besonderes Gemeinschaftserlebnis.

Am Ende des Tages ist man stolz, und die Mühen sind vergessen

Mutter Theresa füllt nach dem Mittagessen eine Thermoskanne Kaffee für die Helfer und packt Süßes dazu. Gemeinsam geht es dann wieder in den Wald, denn das Sturmholz ist noch nicht komplett verarbeitet. Stunde um Stunde spalten wir das Holz. So wird der Kopf herrlich frei und die Dinge, die noch unerledigt zu Hause auf dem Schreibtisch liegen, sind mit einem Mal weit weg. Und wenn am Ende des Tages 20 Ster Holz am Wegrand liegen und es dazu noch ein Lob von Lothar Winterhalder gibt, sind die paar Kratzer am Arm und das Ziehen im Rücken gleich vergessen.