Z am Sonntag- Juli 2018

Z am Sonntag- Juli 2018

Rinder statt Kinder

Für Hubert Messner ging vergangene Woche ein lang gehegtes Vorhaben in Erfüllung. Der ehemalige Primar der Neonatologie am KH Bozen leistete einen Freiwilligen Arbeitseinsatz auf einem Bergbauernhof am Vinschger Sonnenberg – und wurde plötzlich wieder konfrontiert mit „Wehen“ der Bauersleut, dem Herzschlag der Natur und dem täglichen Überlebenskampf in dieser archaischen Welt, hoch über Südtirol.

VINSCHGAU: Hubert Messner kennt sich aus mit kleinen „Wuzelen“. Zehn Jahre arbeitete er – bis zu seiner Pensionierung Ende 2017 – als Chefarzt in der Frühgeborenen-Intensivstation am Bozner Krankenhaus. „Und da komm ich auf den Hof und wie heißt dort die Kuh? Wuzele! Aber das war so ein riesen Vieh“, erzählt Hubert Messner lachend und reißt die Arme weit auseinander, um die Dimension des Rindviehs aufzuzeigen. Wuzele war eines von insgesamt 33 Rindern, die der langjährige Primar in der vergangenen Wochen auf einem Bergbauernhof am Vinschger Sonnenberg gemolken, gestriegelt und gemistet hat. Für acht Tage tauschte er Kittel und Referenzsaal gegen Gummistiefel und Kuhstall und war damit einer von 137 Freiwilligen, die momentan auf Südtirols Bergbauernhöfen einen freiwilligen Arbeitseinsatz leisten. Gratis, aber nicht umsonst.

Glück erfahren, wo das Schicksal zuhause ist

„Ich fühle mich den Bergbauern seit jeher verbunden und schätze den wertvollen und wichtigen Dienst des Vereins Freiwillige Arbeitseinsätze. Heuer habe ich endlich die Zeit gefunden selbst einmal mitzuhelfen“, erzählt der 65-jährige dreifache Familienvater. Der Verein (siehe Infobox) koordiniert jährlich um die 2000 freiwillige Helfer für 300 hilfsbedürftige Höfe in Südtirol. „Immer mehr Bergbauern fragen um Unterstützung an, doch die Arbeitskräfte sind begrenzt, das Auswahlverfahren hart. Damit ein Hof Hilfe zugesprochen bekommt, muss er mindestens 60 Erschwernispunkte aufweisen. Auch die finanzielle, soziale und gesundheitliche Notsituation wird berücksichtigt“, erklärt die Koordinatorin Monika Thaler die oft prekären Situationen.

Jammern galt nicht

Fast 90 Prozent der Erntehelfer rücken nach wie vor aus dem deutschsprachigen Ausland an. Sie sind meist zwischen 40 und 50 Jahre alt und suchen einen Ausgleich. Natur. Idylle. Messner hingegen war von vornherein klar, dass er auf dem 1600 Meter hoch gelegenen Vollerwerbshof mit 141 Erschwernispunkten nicht auf Landromantik treffen wird. Zwölf Hektar steilste Wiesen mussten gemäht und das Heu eingebracht werden, um die 18 Kühe, acht Jungtiere, sieben Kälber, sowie knapp fünfzig Schafe und Ziegen durch den kommenden Winter zu bringen. „Dass ich arbeiten muss, war mir bewusst. Aber dass es so anstrengend wird, hätte ich dann doch nicht erwartet“, gibt der Arzt, der durchaus Expeditionserfahrung hat und sehr sportlich ist, rückblickend ehrlich zu.

Bergbauern brauchen eine Lobby

Ein Pflaster am Mittelfinger und mit Blasen übersäte Handballen sind stumme Zeugen der Schinderei, die um sechs Uhr morgens im Stall begann. Misten, füttern, melken, putzen. Dann ging es auf die Wiesen zum Heu, welches am späten Nachmittag im Stadel mit der Gabel auf den Heustock geworfen werden musste, bevor es abends erneut zu den Kühen ging. „Wir arbeiteten täglich 14 bis 15 Stunden“, sagt Messner, „der Oberarm des Bauern hatte den gleichen Umfang wie mein Oberschenkel.“ Doch der sehnige Bizeps war nicht das Einzige, das den Arzt nachhaltig beeindruckte. Der extrem strukturierte Tagesablauf am Hof, der Wettlauf mit der Natur und die große Verantwortung, die auf den breiten Schultern des Bauern liegt – das gab Messner zu denken. „Diese Bergbauern brauchen dringend eine Lobby. Sie sind die Stiefkinder der Landbauern und wenn wir sie nicht stärker unterstützen, fallen sie uns irgendwann auf den Kopf.“ Messner könnte sich für sie einsetzen. Er wurde gefragt, ob er nicht für den Landtag kandidieren wolle. Messner lehnte danken ab. „Ich glaube, dass es in Südtirol sehr wichtig wäre, Politik zu machen, aber ich habe genug vom Hamsterrad dieser Systeme. Ich mag endlich das tun, was mir Spaß macht.“ Etwa Heuarbeiten.

Der fremde Doktor am Hof

„Dass du es kannst, sehe ich schon daran, wie du die Gabel angreifst, sagte mir der Altbauer am ersten Tag. Das war schön“, erzählt der Arzt von den Erlebnissen am Hof. Sein bäuerliches Wissen kommt nicht von ungefähr. Hubert Messner, das siebte der neun Messner-Kinder aus Villnöß, arbeitete schon als Kind im Sommer auf den Höfen. Später übernahm er mit Freunden für fünf Jahre eine Alm in der Schweiz, versorgte dort 120 Kühe und verarbeitete deren Milch zu Käse. Eine harte Lebensschule, aber zeitgleich wohl auch die Triebfeder für das, was der Arzt in seinem späteren Leben erreicht hat. Sein medizinisches Wissen nutzte ihm vergangene Woche am Hof zwar wenig – es gab keine Geburt im Stall – doch anpacken war auch hier gefragt. Und Messner sah, wo es was zu tun gab. „Anderen hätte ich das jetzt zweimal erklären müssen“, sagte ihm der Bauer öfters. Er war kein Mann der großen Worte und tat sich schwer, Emotionen zu zeigen. Doch Sätze wie diese gaben den renommierten Neonatologen immer wieder das schöne Gefühl, dass seine Hilfe geschätzt wurde. Eine Sonderbehandlung aufgrund seiner Titel gab es am Hofe jedoch nicht. Doch genauso hatte es sich Messner gewünscht und rechnete es den Bauersleuten hoch an, dass der Einsatz keine reine Einbahnstraße des Gebens wurde. Auch der Arzt bekam Einblicke in die traditionsverhaftete, archaische Welt, die so wenig mit dem Südtirol zu tun hat, dass man im Tal kennt.

Dankbarkeit erfahren

Messner ließ sich viel erzählen über die Kränklichkeit der Bäuerin, den Alltag am Hof und über das zurückgezogene Leben, welches die Bergbauern hier oben leider etwas vom gesellschaftlichen Radar verschwinden lässt. Urlaubspläne? Fußball-WM? Sanitätsproblematiken? Diese Themen waren weit weg. Dafür ragten die weißen Gletscher vor dem Fenster des Hofes empor, stauten die Wolken zu dunklen Gestirnen und machten die Arbeit am Feld zu einem Kampf gegen die Zeit. „Man kann das Leben eines Arztes und Bauern nicht vergleichen, doch in beiden Berufen sieht man am Abend, was man geleistet hat. Das befriedigt“, versucht Messner den Grund auszumachen, warum die Bauersleute trotz des harten und entbehrungsreichen Lebens hier oben ein zufriedenes Dasein haben.

So manches Gespräch artete aber auch in eine rege Diskussion aus. „Migranten etwa könnten dem Bauer hier helfen. Doch dafür sind sie kulturell wohl zu weit auseinander“, mutmaßt der Arzt. Am Hof werde die Tradition groß geschrieben. Es gebe klare Rollenverteilungen, eine strikte Erziehung – und keinen Fernseher. Was unten im Tal, draußen in der Welt passiert, davon wolle der Bauer nichts hören. Die Politik, die Medien, das war für ihn alles Lug und Trug. Nur die Kinder, die anfangs distanziert auf den „fremden Städtler“ reagierten, hörten interessiert zu, wenn Messner davon berichtete, wie er derzeit in China Chefärzte im Bereich Neonatologie fortgebildet oder bald schon mit seiner Familie nach Brasilien zum Surfen reisen wird.

Nicht das letzte Mal

„Der Bauer fährt höchstens zum Kalterer See, mehr brauche er nicht, sagte er mir. Doch ich bat ihn darum, doch wenigstens die Kinder in die Welt hinaus zu schicken, damit sie Erfahrungen sammeln können und nicht nur am Hof schuften.“ Messner selbst wäre nämlich keinen Tag länger als vereinbart geblieben. „Ich konnte trotz meines Alters zwar gut mithalten, aber nach sieben Tagen Heuarbeit brauchte ich dringend körperliche Erholung“, sagt Messner mit einem Lachen. Die Erfahrung würde er jedoch nicht missen wollen und überlegt, nächstes Jahr wieder die Gabel in die Hand zu nehmen. Dann vielleicht irgendwo im Passeier- oder Ultental. Mit den Bauersleuten vom Vinschger Sonnenberg bleibt er jedoch in Kontakt, denn der Handschlag dieser sehnigen Arme und das „Vergelt´s Gott“ beim Abschied machten ihm klar: Ein freiwilliger Arbeitseinsatz ist mehr, als die Befriedigung des sozialen Gewissens. Dafür reicht ein Blick in die dankbaren Augen der Bauersleute, die sich nicht selten mit Wasser füllen, wenn die Helfer müden Schrittes die Höfe verlassen.

 

Infobox

Zur Person

Dr. Hubert Messner (*1953), ist eines der acht Geschwistern von Reinhold Messner. Der gebürtige Villnösser, der heute in Girlan lebt, war von 2007 bis Ende 2017 Chefarzt der Neonatologie und Neugeborenen-Intensivstation in Bozen. Mit seiner Frau Cristina hat er drei Söhne: Alex, Tim und Nick.

Infobox

Der Verein Freiwillige Arbeitseinsätze (VFA)

Vor 20 Jahren wurde der Verein Freiwillige Arbeitseinsätze aus der Taufe gehoben, um freiwillige Helfer an hilfsbedürftige Bergbauern zu vermitteln. Das Modell hat sich längst bewährt, wie die mittlerweile mehr als 2000 Helfer jährlich beweisen. Jeder dieser Freiwilligen lässt sich für Kost und Logis auf ein besonderes Abenteuer ein und steuert seinen Teil bei zu Existenzsicherung von Bauern, denen es das Schicksal nicht so leicht gemacht hat. Darüber hinaus erleben die Helfer hautnah die Abgeschiedenheit, Bodenständigkeit und die Arbeitsintensität am Hof.

Interessierte freiwillige Helfer mögen sich bitte melden: www.bergbauernhilfe.it, Tel. 0471 999309.